Schülertheater in Hückelhoven Bühnenreife Gesellschaftskritik

Hückelhoven · Schüler des Gymnasiums Hückelhoven führten das Drama „Andorra“ von Max Frisch auf. Sie begeisterten mit feinfühligem Spiel und einer klaren Botschaft gegen Fremdenhass.

 Von Schülerinnen und Schülern des Hückelhovener Gymnasiums in Szene gesetzt: Andorra.

Von Schülerinnen und Schülern des Hückelhovener Gymnasiums in Szene gesetzt: Andorra.

Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Die Schüler des Projektkurses „Darstellendes Spiel“ aus der Jahrgangsstufe Q2 des Gymnasiums Hückelhoven präsentierten das Drama „Andorra“ von Max Frisch in der Aula in einem neuen Gewand – modern und nach Vorstellung der Schüler redigiert, aber keinesfalls minder aktuell oder gesellschaftskritisch. Schon ein Videoeinspieler zu Beginn des Theaterstückes machte deutlich, wie wichtig Frischs modellhafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Hass gegen Minderheiten und die damit einhergehende, verzerrende Auswirkung von Vorurteilen auf das eigene Selbstbild auch heute noch ist.

Inwieweit ist die Identität des Einzelnen abhängig von den Meinungen der Masse? Um diese Frage dreht sich die Handlung in Frischs Stück. Der fiktive Handlungsort Andorra wird als kleines, frommes und idyllisches Land vorgestellt, doch es wird schnell deutlich, dass die Bürger bei weitem nicht so unbescholten sind, wie sie selbst denken – ihr unterschwelliger Hass gegen alles Fremde ist allgegenwärtig. Das muss auch Andri merken, der vermeintliche Pflegesohn des Lehrers Can. Er ist ein freundlicher und aufgeweckter junger Mann, der Tischler werden, seine Pflegeschwester Barblin heiraten und um jeden Preis Teil der Andorraner sein möchte. Aufgrund seiner vorgeblichen jüdischen Identität muss er jedoch immer wieder ungerechtfertigte Beschimpfungen und Ausgrenzungen erfahren. Zu Beginn wehrt er sich vehement gegen die falschen Vorurteile und versucht, noch korrekter und „andorranischer“ zu sein als seine Mitbürger. Je mehr Ablehnung ihm jedoch entgegenschlägt, desto mehr beginnt er an sich selbst zu zweifeln und die auf ihn projizierten, klischeehaften und angeblich „jüdischen“ Charaktereigenschaften anzunehmen. Selbst, als sich herausstellt, dass er der leibliche Sohn des Lehrers ist und seine Identität als Jude nur auf einer Lüge seines Vaters beruht, lehnt Andri die Wahrheit ab und gibt sich mit seiner Rolle als Sündenbock zufrieden. Sein anfänglicher Kampf gegen die ihm zugeschriebene Identität fällt immer mehr seiner inneren Gespaltenheit und den Vorurteilen seiner Mitmenschen zum Opfer und endet schließlich tragisch für ihn. Bis zuletzt jedoch sehen sich die Andorraner um ihn herum als unschuldig und unbeteiligt an Andris Schicksal.

„Andorra“ ist eine modellhafte Gesellschaftsstudie, für die Frisch sich zwar am Antisemitismus und Nationalsozialismus orientierte, deren Thematik jedoch allgegenwärtig und auf fast alle Gesellschaftsbereiche übertragbar ist. Sie verdeutlicht, wie machtlos der Einzelne gegenüber dem Kollektiv ist, wenn ihm eine Rolle aufgedrängt wird – wie Vorurteile den Einzelnen nicht nur prägen, sondern bis zur Selbstaufgabe treiben können.

Das Stück wurde vom Projektkurs „Darstellendes Spiel“ aufgeführt, der in diesem Jahr zum ersten Mal am Hückelhovener Gymnasium angeboten wurde und für die Schüler der Jahrgangsstufe Q2 als aufbauendes Modul zum Literaturkurs angeboten wird. Leiterin Christine Wolff lobte die intensive Auseinandersetzung der Schüler mit dem Stoff; lange wurde darüber diskutiert, welche Szenen wie inszeniert werden sollten. Die Geschlechterrollen wurden während des Stückes genauso vollständig aufgehoben wie eine feste Besetzung: In verschiedenen Szenen spielten verschiedene Schüler denselben Charakter. Somit bewegte sich das Ensemble jenseits von Charaktergrenzen auf der Bühne, die Figuren wurden lediglich durch Kennzeichen wie beispielsweise ein weißes Shirt, eine Schürze oder einen Werkzeuggürtel kenntlich gemacht. Gerade dadurch stachen aber die empathischen und überzeugenden Schauspielleistungen der Schüler besonders heraus.

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