Historie in Hückelhoven und Wassenberg Für Ganoven gab es „Prügelen“, Wasser und Brot

Hückelhoven/Wassenberg · Räuberbanden hatten im 18. Jahrhundert Unterstützer in vielen Dörfern an Rur, Wurm, Niers und Schwalm. Regelrecht berühmt, aber noch berüchtigter im Land an Rhein und Maas, war die „Meerssener Bande“, die zum Ende des 18. Jahrhunderts die Region unsicher machte.

 Die Haagstraße um 1910, rechts das Haus der Familie Blancke. Zurzeit wird das Gebäude restauriert.

Die Haagstraße um 1910, rechts das Haus der Familie Blancke. Zurzeit wird das Gebäude restauriert.

Foto: Stadtarchiv Hückelhoven

Die Räuberbande mit Standort Meerssen, nördlich von Maastricht in Limburg, überfiel mit fast 40 Mann in der Nacht vom 29. auf den 30. August 1796 den Kaufmann und Landwirt Johann Peter Blancke in der heutigen Haagstraße 2 in Hückelhoven. In dieser Zeit existierten in der Zone vom Taunus-Moselbereich („Schinderhannes“) bis zum Niederrhein mehrere Banden, deren Entstehung auf ein Rechts-Vakuum nach der Eroberung durch die französische Revolutionsarmee und die Besatzung zurückgeführt wurde – die alte, feudal-klerikale Ordnung war aufgelöst. Allerdings kann dieses politische Phänomen des Vakuums nicht allein ursächlich gewesen sein, denn nun veröffentlichte Quellen belegen auch für das frühe und mittlere 18. Jahrhundert Personen und Tatorte an Rur, Wurm, Niers und Schwalm.

Organisiertes Verbrechertum mit Diebstahl, Raub bis hin zum Raubmord ist belegt, wurde verfolgt und geahndet mit Strafen bis zu Folter und Hinrichtungen. Allerdings wurde Strafverfolgung durch die territoriale Zersplitterung Deutschlands in rund 300 Kleinstaaten und die Nähe zur Grenze zu den Niederlanden in dieser Zeit erschwert, abgesehen davon, dass eine Polizeiorganisation in heutigem Sinn nicht existierte, vor allem auf dem Land die Schützen bei Bedarf eingesetzt wurden. 21 Kriege wüteten im 18. Jahrhundert in der Region, sie destabilisierten die Situation zusätzlich.

Landstreicher und Vagabunden als Diebe und Räuber bauten sich über Erpressung oder Beteiligung am Raubgut ein System von Unterstützern in „unehrlichen Berufen“ oder Bauernhöfen auf, bei denen sie auch Unterschlupf fanden. Der Niederländer Peter Geuskens hat die Zeit erforscht und Verhörprotokolle ausgewertet, die unter anderem 1752 über einen Schwerverbrecher namens Antonius Corts, zumeist als Kleine Toon unterwegs, angefertigt wurden, in denen weitere Namen und Taten geschildert werden. So hatte ein Lambertus von Hatteren den Kippinger Hof in Rurich in Brand gesteckt, der Brachelener Lange Wolf zündelte am Begenhausener Hof in Titz, Ewalt aus Jülich legte die Lunte an den Dackweiler Hof bei Holzweiler, der heute vom Braunkohlebagger verschont wird.

Unterstützung fanden Ganoven, männlich und weiblich, auch in Gasthöfen, wo es Tauschbörsen für Hehler gab – in Orsbeck tat sich der Wirt Hensken hervor, direkt am Kirchhof neben dem Pfarrhaus verortet, ging bei ihm zehn Jahre lang der Verbrecher Peter Schols ein und aus, der sich ein ordentliches Kerbholz erarbeitet hatte. Eine Bleibe hatte er auch in Altmyhl – aber die brauchte er ab 1. Juni 1751 nicht mehr, da wurde er verhaftet nach einem Diebstahl in Wassenberg. In Geleen wurde er am 11. Dezember 1751 zum Tod verurteilt und am 16. Dezember aufs Rad geflochten, eine Hinrichtungsart ohne Kompromisse mit Knochenbrechung, Auseinanderziehung, Feuer von unten – Glück hatte, wer nach wenigen Stunden vom Scharfrichter enthauptet wurde. Manches Mal dauerte die Tortur bis dahin Tage.

Raubgüter waren Geld, wertvoller Hausrat, Stoffe, die Eigner wurden übel malträtiert, um Verstecke zu verraten; um die manchmal aufmerksam gewordenen Dorfmitbewohner von Verfolgung abzuhalten, setzte man den Raubort in Brand.

Die Infrastruktur von Hehlerei und Unterschlupf hatte auch einen Standort in Doveren, wo ein „Drossaert“ als Bauer und Wacholderschnapsbrenner wirtschaftlich eingebunden war. Gleich nebenan, in Hetzerath, war es die einäugige (!) Witwe Anne, die als Tippgeberin und Hehlerin aktiv war, geklaute Hühner und Butter auf dem Markt Jülich mit Gewinn weiterreichte. In Kleinbouslar taten sich der Schneider Johannes und seine Frau Catharijn als Herbergseltern für Gesindel hervor, ihre Tipps für Raubzüge gingen gezielt in Richtung Fleisch und Butter bei Bauern und Metzgern. Heute ist das eher deliktisches Spezialgebiet „Ladendiebstahl“, alles in einem Haus.

Das offenbar recht dichte Netz an Unterstützern verzeichnet als Standort auch „Hofferick“, Houverath, wo es Wirt Johannes, genannt „Hensken“, und seine Frau Marie waren, die Dienstleistungen lieferten, mit dem Verkauf von Bier und Genever (Wacholder) wie viele „Kollegen“ eine ziemliche Alkohol-Affinität zeigten. Die „Erlöse“ wurden von den Banditen vorwiegend nicht langfristig, sondern überwiegend kurzfristig in Getränken angelegt.

Heinrich Wilhelm Packenius, der Amtmann/Vogt des Landesherrn, des Herzogs von Jülich, auf der Wassenberger Burg, wurde gegen das Räuber-Unwesen am 25. Juni 1765 im Land an Rur, Wurm, Niers und Schwalm aktiv, eine Kooperation mit Caspar Ludwig Dörsten, Richter der Unterherrschaft Neuerburg (bei Effeld), sollte mit einer Razzia das Ganoventum aufspüren und bestrafen. Dazu sollten die Wälder von Effeld bis Dalheim durchkämmt werden, beiderseits der heutigen Landesgrenze, 1765 (bis 1794/1815) gehörten auch Melick und Herkenbosch zum Amt Wassenberg. Die Aktion sollte am 26. Juni 1765, einem Mittwoch, um zehn Uhr beginnen. Über das Ergebnis konnte Peter Geuskens keine Auskunft geben.

Vom Regierungssitz des Herzogtums Jülich aus, Düsseldorf, wurde 1771 per Plakat bekannt gemacht, dass im Stadtteil Kaiserswerth ein moderner Strafvollzug in Form einer Besserungsanstalt mit Fabrik für männliche und weibliche „Züchtlinge“ eröffnet werde. Zum modernen Strafvollzug gehörte, dass Fabrikant und Zuchthaus-Direktor Georg Peter Clasman die Züchtlinge mit 15 bis 30 „Prügelen“ begrüßte, bevor sie zum „Steineklopfen“ abkommandiert wurden. Seiner Zeit weit voraus war der Zuchthausdirektor auch in Sachen Ernährung der Steineklopfer: Die Mahlzeiten waren rein vegetarisch – „Wasser und Brot“.

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