In der Denkmalkirche Hückelhoven Ein anderer Blick auf die Rolle des Judas

Hückelhoven · Judas Iskariot ist der Verräter – aber war es wirklich so, wie es in der Bibel niedergeschrieben wurde? Ein Passionsspiel stellt Fragen und regt zum Nachdenken an.

 Udo Lenzig führte den Monolog der Verteidigungsrede im Passionsspiel „Ich, Judas“ in der evangelischen Kirche Hückelhoven.

Udo Lenzig führte den Monolog der Verteidigungsrede im Passionsspiel „Ich, Judas“ in der evangelischen Kirche Hückelhoven.

Foto: Ruth Klapproth

Einen anderen Blick auf die Dinge ermöglichte Pfarrer Gerhard Saß, der in der evangelischen Kirche an der Haagstraße in Hückelhoven in der Karwoche zu einem Passionsspiel der besonderen Art eingeladen hatte. „Ich, Judas“, die Verteidigungsrede des Judas Iskariot, verfasst von dem Philosophen und Schriftsteller Walter Jens, sollte den Besuchern ermöglichen, ihre Gedanken neu zu ordnen und vielleicht auch eine Neubewertung vorzunehmen. „Keine Person der Bibel hat einen so schlechten Ruf wie Judas“, sagte Saß bei seiner Begrüßung der Gäste und von Pfarrer Udo Lenzig, der die Verteidigungsrede in einem beeindruckenden Monolog vortrug. Der Name von Judas stehe für Habgier, Verrat und Mord. „Jedem kann vergeben werden, aber ihm nicht“, meinte Saß, und er fragte: „Was wäre eigentlich mit unserer Erlösung, wenn Judas Jesus nicht verraten hätte, wenn er sich der letzten Bitte seines Freundes verweigert hätte?“

In der Verteidigungsrede, die Lenzig mit Dynamik und Überzeugungskraft vortrug, schildert Jens das Geschehen aus der Sicht von Judas. Er sei der einzige der zwölf Jünger gewesen, der das Opfer auf sich genommen habe, die Rolle des „Verräters“ anzunehmen – damit Jesus sein Heilswerk am Kreuz erfüllen konnte. Dem Gehorsam von Judas gegenüber seinem Herrn sei letztendlich die Vollendung des Lebens von Jesus auf dieser Welt zu verdanken. „Jesus konnte sich auf mich verlassen“, lässt Jens den vermeintlichen Verräter sagen, und er fährt fort: „Nein, Herr, ich habe dich nicht verraten.“ Wie konnte er auch, da alles über das Leben und Wirken von Jesus auch den Römern bekannt gewesen sei?

Und Lenzig trägt überzeugend vor, dass der Lohn für den Verrat im Prinzip kümmerlich gewesen sei, „nicht mehr als der Wert eines abgetragenen Kleidungsstücks“. Judas habe durch die Annahme und das Verschleudern der 30 Silberlinge das System verhöhnen und durch seinen Selbstmord den letzten Zweifel beseitigen wollen, dass er als wahrer Freund auch im Tod an der Seite seines Freundes stehen wolle. „Jesus wusste von meinem Verrat, er wollte meinen Verrat. Wir haben voneinander gewusst. Ich, ein Verräter? Nein, das habe ich nicht verdient.“

Jens stellt in der Verteidigungsrede unterschiedliche Fragen: Wie kann Jesus von Vergebung und Versöhnung mit den Feinden reden, Judas aber nicht einschließen? Wie kann Judas als Vertreter des jüdischen Volkes mit einer Schuld belastet werden, unter der alle Juden zu leiden haben? „Auch Jesus war ein Jude. Verdient der auch den gelben Stern?“

Angenommen, Judas hätte den Verrat nicht begangen. Was wäre passiert? „Wir wissen es nicht“, antwortet Lenzig nach dem Monolog in der Diskussion mit seinem begeistert-nachdenklichen Publikum. Judas wäre nichts ohne Jesus gewesen, „aber Jesus auch nichts ohne Judas“. Jens habe mit der Verteidigungsschrift ein Gegenbild konstruiert zur Meinung der Evangelisten, die Judas in die Verräterrolle geschrieben haben.

„In unserer kritischen Auseinandersetzung mit der Bibel sollten wir uns immer fragen: Wie könnte es auch anders gewesen sein?“ Für Lenzig ist Judas eine spannende Figur, erklärt er: „Der Schatten von Jesus, der das Licht ist. Ohne Licht kein Schatten, aber ohne Schatten auch kein Licht.“

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