Hückelhovener Ganztagshauptschule In der Schlee Leben mit Handicap kennenlernen

Hückelhoven · Ungewöhnliche Gastdozenten hatten die Jugendlichen der Klasse 6b jetzt in der Hückel­hovener Hauptschule. Menschen mit Handicap des Vereins GIPS zeigten, wie man mit Behinderungen den Alltag meistert.

 Ohne Hände lässt sich Dame spielen. An einem Kopfband ist ein langer Fühler befestigt, an dessen Ende ein Magnet hängt. Durch die entsprechenden Kopfbewegungen lernten die Schüler der Hückelhovener Hauptschule, wie man die Steine bewegen kann.

Ohne Hände lässt sich Dame spielen. An einem Kopfband ist ein langer Fühler befestigt, an dessen Ende ein Magnet hängt. Durch die entsprechenden Kopfbewegungen lernten die Schüler der Hückelhovener Hauptschule, wie man die Steine bewegen kann.

Foto: Ruth Klapproth

Aleyna macht das Fahren mit dem Rollstuhl nach kurzer Eingewöhnung sichtlich Spaß, sie findet es schlicht „cool“. Andere Mitschüler, die unter Anleitung von Rollstuhlfahrerin Manuela Deußen auf dem Schulflur üben, haben da aber doch so ihre Schwierigkeiten. Im Rollstuhl sitzend, ohne Hilfe eine Tür zu öffnen, verlangt schon einiges an Technik, nicht alle schaffen es. Zwei Rollstühle verhaken sich auf der schiefen Ebene, und Deußen muss aktiv werden. Insgesamt aber eine interessante Erfahrung, da sind sich die Schüler einig. Später ist Gruppenwechsel angesagt und es gilt, sich mit Blindenstock und Schwarzbrille, die das Sehen verhindert, im Schulfoyer zu bewegen.

Rums – schon gibt es die ersten Zusammenstöße von Menschen und Wänden. Im Klassenraum versuchen unterdessen andere ihren Namen von rechts nach links in der Blindenschrift Braille zu schreiben, eine andere Gruppe lernt das Dame-Spiel ohne Einsatz ihrer Hände kennen: Ein mit dem Kopf über einen langen Fühler zu steuernder kleiner Magnet macht das Verschieben der Spielsteine möglich. Die Praxisanleiter sind Menschen mit Behinderung des Vereins GIPS (Gehandicapt – Informationsprojekt Schule). Der Verein mit Sitz in den Niederlanden hat mittlerweile auch einen Ableger im Kreis Heinsberg. Rund zweimal pro Woche besucht das rund achtköpfige Team Betroffener mit verschiedenen Handicaps Schulen, um Jugendliche gleichsam spielerisch am Leben mit Handicap teilhaben zu lassen und damit Verständnis für Behinderte und das Leben mit Handicap zu fördern.

Der Kontakt zu GIPS, so berichtet Heidi Corall, Berufskoordinatorin in der Hauptschule, kam über Marcell Ballas, Leiter des St. Lambertus Seniorenheims, zustande. Die Einrichtung unterhält seit längerem eine Partnerschaft mit der Hauptschule und lädt Schüler zu Berufsorientierung und Praktika ein, dies auch im Bereich „Junge Pflege“, der sich um 18 Menschen unter 50 Jahren kümmert. Ballas ist denn auch ebenso gekommen wie Bürgermeister Bernd Jansen und die stellvertretende Sozialamtsleiterin Andrea Cardis.

Jansen betont in der Vorstellungsrunde, was sich auch bei ihm selbst durch den Kontakt mit Behinderten geändert hat. „In meiner Jugend hatte ich da Berührungsängste, wollte nichts falsch machen, war unsicher.“ Wichtig sei aufzuklären und durch Kontakte und Einbeziehung Behinderter in die Gesellschaft Vorurteile abzubauen. Darum bemühe sich auch die Stadt mit dem lokalen Teilhabekreis, betonte Cardis. „Wichtig ist, sich klar zu machen, dass eine Behinderung jeden treffen kann“, sagt Rollstuhlfahrerin Manuela Deußen. Ein Sturz auf dem Schulhof etwa könne das Leben radikal verändern.

Der Verein GIPS lädt zum offenen Gespräch ein, will Schüchternheit und Hemmungen abbauen. Alles darf gefragt werden. Und so sprachen die GIPS-Vertreter in der Vorstellungsrunde ganz offen über sich und ihr Handicap. Sprecherin Anja Himmels aus Heinsberg-Schafhausen (49) etwa über ihren Schlaganfall vor rund 20 Jahren, kurz nach der Geburt ihres Sohnes, der bis heute nachwirkt.

Manuela Deußen (54) aus Kirchhoven stellte ihr Handicap, eine aus einem Gendefekt herrührende spastische Behinderung vor, die sie an den Rollstuhl binde. Auch der mehrfach beeinträchtigte Alex (62) sowie Martina (49), die aufgrund ihrer Mehrfachbehinderung nachts ans Beatmungsgerät muss, stellten sich vor. Lothar (66) aus Schwanenberg gehört zum Team genauso wie der geistig behinderte Kelvin (25) und der selbst leicht behinderte Fahrer der Gruppe, Chris Faessen. Man spürt, dass sich die 6b von Klassenlehrer Ben Hontheim schon mit dem Thema Behinderung auseinandergesetzt hat. Es gab Berichte von Erfahrungen aus der eigenen Familie und Schüler fanden, dass der Begriff „Behinderter“ in der Jugendsprache oft beleidigend eingesetzt wird. Von „Menschen mit Handicap“ zu sprechen, fanden alle respektvoller, weil der Mensch und nicht seine Behinderung hier im Vordergrund stehe.

In wenigen Tagen werden die GIPS-Vertreter übrigens noch einmal die Schule besuchen und die Schüler einladen, mit ihnen über die im Praxis-Test gemachten Erfahrungen zu diskutieren.

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