Geistliches Zwiegespräch Karfreitag bedeutet mehr als "damals"

Erkelenz · Muss man eigentlich einen Tag lang traurig sein? Ein Gedankenaustausch des Hückelhovener Pfarrerehepaares Ute und Gerhard Sass über den "Tag mit den zwei Gesichtern - ein dunkles, trostloses und ein erstaunt hoffnungsvolles".

Geistliches Zwiegespräch: Karfreitag bedeutet mehr als "damals"
Foto: Dackweiler Ulli

Hückelhoven Die evangelische Kirchengemeinde feiert das erste Osterfest mit dem neuen Pfarrer-Ehepaar Gerhard und Ute Sass. Für die Leser unserer Zeitung haben sich die beiden über den morgigen Karfreitag, den besonderen Feiertag der evangelischen Christen, sowie Leid und Tod in der heutigen Welt und die Hoffnung aus der Osterbotschaft ausgetauscht.

Gerhard Sass Morgen ist wieder Karfreitag. Schon als Kind habe ich mich häufig gefragt: Muss ich an Karfreitag eigentlich traurig sein?

Ute Sass Das fragen sich sicher viele Menschen - und es ist nicht leicht, gerade jungen Menschen zu erklären, warum es auch heute noch gut ist, dass der Karfreitag bei uns ein sogar gesetzlich geschützter "stiller" Tag ist.

Gerhard Sass Da gibt es sicher mehr als eine Antwort. Als erstes ist für mich heute Karfreitag ein Tag zum Hinschauen und Aushalten. Hinschauen auf das Kreuz. Auf das Leiden, die Folter und den grausamen Tod dieses Jesus von Nazareth. Und das mit aushalten. So singen wir im Gottesdienst: "Herr, lehre mich, dein Leiden zu bedenken."

Ute Sass Hinschauen ist wichtig, das stimmt. Aber es ist mehr als ein Zuschauen wie etwa im Theater, wo ich mir die Passionsgeschichte vorführen lasse wie eine Tragödie und dann nach Hause gehe und denke: gut, das war einmal. Zu Karfreitag gehört ja viel mehr als das "damals". Sehr eindrücklich hat das die bekannte Theologin Dorothee Sölle einmal gesagt: "Karfreitag feiern heißt für mich als Christin zuerst einmal, das Kreuz heute wahrzunehmen: Warum hört es nicht auf? Wo stehen unsere Kreuze? Wer bezahlt sie? Wer profitiert von ihnen?"

Gerhard Sass Ja - Karfreitag lässt mich auch hinschauen auf Leid und Schmerzen, Terror und Töten, Entsetzen, Trauer und Abschied heute. Das alles widerfährt ja Menschen immer wieder. Nicht erst heute. Aber heute noch immer. Und bestimmt unsere Nachrichten oft so sehr, dass man kaum noch hinsehen mag. Doch Wegschauen kann keine Lösung sein.

Ute Sass Darum stellt der Karfreitag uns ja auch vor eine Menge Fragen, auch nach uns selbst und unserer eigenen Verantwortung angesichts des Leids in der Welt. Dorothee Sölle hat weiter gesagt: "Ich bin nicht Zuschauerin der Kreuzigung am Karfreitag, sondern Beteiligte und Mittäterin."

Gerhard Sass Mittäterin - das wird bestimmt nicht jeder so deutlich von sich sagen wollen. In den Erzählungen von der Kreuzigung Jesu begegnen uns ja ganz verschiedene Menschen unter dem Kreuz. Täter, Mitläufer, ohnmächtige Zuschauer, furchtsame Zaungäste. Aber wenn ich mich auf das Fragen einlasse, dann wächst auf jeden Fall auch bei mir ein Gefühl, dafür, dass das alles irgendwie mit mir selbst zu tun hat. Die vielen Kreuze bis heute. Und auch das Kreuz damals.

Ute Sass Mit dem Kreuz haben ja viele Menschen ganz grundsätzliche Schwierigkeiten. Sie fragen: Wie können wir denn dieses Folterinstrument mit dem in Verbindung bringen, was wir von Gott hören und erwarten? Diese Ratlosigkeit gilt es an Karfreitag erst einmal auszuhalten. Sie löst sich erst, wenn Ostern wird und die Botschaft von der Auferstehung Jesu sich ausbreitet. Dadurch gibt es noch immer keine einfachen Antworten - aber eine Hoffnung in Leid und Tod.

Gerhard Sass Darum ist für mich Karfreitag ein Tag, der eigentlich zwei Gesichter hat. Ein dunkles, trostloses und ein erstaunt hoffnungsvolles. Ein Tag des Hinschauens auf das brutale, sinnlose, scheinbar gottverlassene Leid am Kreuz und in der Welt. Und zugleich der Tag, an dem Gott doch gegen allen Anschein mitten im Leiden ganz nahe ist. Und so neues Leben ermöglicht.

Ute Sass Es gibt ja Situationen, in denen wird ganz deutlich, dass es diese Hoffnung gegen allen Anschein braucht, die wir am Karfreitag einüben können. Als ich zum Beispiel als junge Vikarin einmal bei einer schwerstkranken Frau war, um ihr beizustehen. Da hatte ich auf einmal das Bild des "leidenden Christus" vor Augen. Und spürte, dass er auch in dieser Not da war.

Gerhard Sass Das spüren vielleicht auch Menschen in den Gottesdiensten an Karfreitag mit ihrem besonderen Ablauf. Für mich ist der Karfreitag auch darum nicht nur ein trauriger Tag. Sondern die Vorahnung und Gewissheit des kommenden Osterfestes gehört für mich dazu. Eines meiner Lieblingslieder fasst das alles für mich sehr schön so zusammen: "Holz auf Jesu Schulter / von der Welt verflucht / ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. / Kyrie eleison / sieh, wohin wir gehn. / Ruf uns aus den Toten, / lass uns auferstehn." (Evangelisches Gesangbuch 95)

(RP)
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