Krise in Afghanistan Hückelhovener bangt um Familie in Kabul

Hückelhoven · Der 27-jährige Ahmet hat bis 2015 in Kabul für die Nato als Übersetzer gearbeitet. Jetzt befürchtet er, dass seine Familie von den Taliban dafür bestraft wird. Hilfe von den Behörden hat er bislang nicht bekommen.

 Rund um den Flughafen Kabul harren weiter Tausende Menschen aus, in der Hoffnung auf einen Evakuierungsflug ins Ausland.

Rund um den Flughafen Kabul harren weiter Tausende Menschen aus, in der Hoffnung auf einen Evakuierungsflug ins Ausland.

Foto: dpa/Stfw Schueller

Ahmet (Name geändert) ist 27, lebt seit 2015 im Erkelenzer Land und hat große Angst um seine Familie. Seit knapp einer Woche hängen seine Brüder und Schwestern wie unzählige andere Menschen am Flughafen in Kabul fest und hoffen auf Rettung. Ahmet spricht sechs Sprachen. Bevor er nach Deutschland floh, arbeitete er in seiner Heimat Afghanistan als Dolmetscher für die Nato. Nach der Machtübernahme der Taliban fürchtet er nun um das Wohlergehen seiner Familie. „Ich weiß, dass ich noch auf Listen der Taliban stehe. Ich weiß auch, dass schon ehemalige Kollegen von Taliban getötet worden sind. Und ich weiß, dass meine Familie große Probleme bekommen wird, wenn sie nicht aus Afghanistan rauskommen“, sagt Ahmet mit ernstem Blick.

Der Zeitdruck ist groß. Noch vor dem Wochenende sollen die letzten Evakuierungsflieger der Bundeswehr, mit denen gefährdete Ortskräfte und Angehörige gerettet werden sollen, die afghanische Hauptstadt verlassen. Am 31. August wollen die westlichen Staaten ihre Kräfte endgültig abziehen. „Die Taliban sagen in Kabul ganz offen: ,Wenn die Amerikaner weg sind, dann geht es hier ab’“, sagt Ahmet, der ständig in Kontakt steht mit seiner Familie, die am Flughafen verzweifelt versucht, in einen der Evakuierungsflieger zu gelangen.

Ahmet zeigt die Anrufliste seines Handys. Dutzende, wenn nicht hunderte Anrufe hat der Mann, der seit 2015 in Wegberg und nun in Hückelhoven lebt und in Kürze die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten wird, in den vergangenen Tagen getätigt, die meisten Nummern haben eine Berliner Vorwahl. „Ministerien, Ämter, Hilfsvereine, Kirchenorganisationen und, und, und. Wir haben wirklich schon alles versucht“, sagt Gabi Peterek. Die Wegbergerin gründete während der Flüchtlingskrise 2015 einst den Hilfsverein „Aysl in Wegberg“, kennt Ahmet schon lange und versucht, ihn bei der Rettungsaktion zu unterstützen. „Ich finde es schamhaft für eine Bundesregierung, wie der Abzug aus Afghanistan gelaufen ist. Die bedrohten Menschen jetzt rauszuholen und sie nicht im Stich zu lassen, das wäre das Mindeste gewesen.“ Traurig sagt sie: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die uns in Afghanistan lange Jahre geholfen haben, jetzt auf einmal niemanden mehr interessieren.“

Welche Auswirkungen die neue Herrschaft der Radikal-Islamisten auf die Bevölkerung hat, zeigt auch das Beispiel von Esra (Name geändert), einer jungen Afghanin, die bis vor Kurzem in Wegberg lebte und nun nach Hamburg gezogen ist. Zwei ihrer Schwestern (13 und 17 Jahre alt), ihre Mutter und ihr geistig behinderter Bruder leben noch in Herat, einer Stadt im Westen Afghanistans. Ihre 17-jährige Schwester sei vor vier Jahren an einen wohlhabenden, sehr religiösen Mann zwangsverheiratet worden und habe sich vor Kurzem scheiden lassen. Auch Esra hat große Angst davor, was mit ihrer Familie passiert, wenn die Taliban sie finden. Ihre Angehörigen überlegen derzeit, eine Flucht in den Iran zu wagen. „Das wäre aber eine vier Tage lange Reise, auf der sie Gefahr laufen würden, von den Taliban gekidnappt zu werden. Und selbst, wenn sie im Iran sind. Wie geht es dann weiter?“, sagt Esra.

 Flüchtlingshelferin Gabi Peterek aus Wegberg: „Ich finde es schamhaft für eine Bundesregierung, wie der Abzug aus Afghanistan gelaufen ist.“

Flüchtlingshelferin Gabi Peterek aus Wegberg: „Ich finde es schamhaft für eine Bundesregierung, wie der Abzug aus Afghanistan gelaufen ist.“

Foto: Jörg Knappe (jkn)/Knappe, Jörg (jkn)

Über die Familien von Esra und Ahmet sagt Gabi Peterek: „Das sind zwar im Endeffekt nur zwei Einzelschicksale, aber sie stehen für viele, viele weitere Fälle. Wir hoffen sehr, dass uns noch jemand einen Kontakt vermitteln kann, dass jemand jemanden kennt, der helfen kann. Wir wissen nicht mehr weiter.“ Die vielen Anrufe bei den Behörden seien nämlich fruchtlos geblieben: „Wir haben alle Nummern angerufen, die es gibt. Entweder kommt man gar nicht erst durch, wird vertröstet oder an eine andere Stelle weiter verwiesen. Wir haben es noch nicht mal geschafft, jemanden zu finden, der uns beraten kann.“

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