Hückelhovener bangt um seine Familie Nach dem Erdbeben wartet er zwischen Angst und Hoffnung

Update | Millich · Ömer Karadöl aus Hückelhoven versucht vergeblich, seine Familie im Erdbebengebiet Antakya in der Türkei zu erreichen. Am liebsten würde er sofort hinfahren. Er durchlebt seine schwersten Stunden – und hofft auf einen Anruf.

Ömer Karadöl wartet verzweifelt auf eine Nachricht von seiner Familie im Erdbebengebiet.

Ömer Karadöl wartet verzweifelt auf eine Nachricht von seiner Familie im Erdbebengebiet.

Foto: Ruth Klapproth

Immer wieder drückt er die Wahlwiederholung auf seinem Smartphone. Wartet darauf, dass endlich jemand abhebt, ihm sagt, dass alles in Ordnung ist. Dass es nicht so schlimm ist und nur das Haus in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es sind quälende Sekunden zwischen Angst und Hoffnung. Sie quälen Ömer Karadöl (42) so sehr, dass er kaum noch schlafen und nur noch stundenweise arbeiten kann.

Der Familienvater, der in Millich wohnt und als kaufmännischer Angestellter in einem Wassenberger Unternehmen beschäftigt ist, kann seine 86-jährige Mutter Hacer Karadöl und Bruder Mustafa (45) im türkischen Erdbebengebiet nicht mehr erreichen. Ein Cousin rief ihn morgens gegen fünf Uhr an, riss ihn unsanft aus dem Schlaf: „Hier gab es ein sehr starkes Erdbeben. Du musst versuchen, deine Familie zu erreichen.“ Das versucht Ömer Karadöl seitdem von früh morgens bis spät nachts. Das Handynetz ist längst zusammengebrochen, seit die schreckliche Katastrophe unzählige Menschen in den Tod riss.

Auch der Millicher, der in Antakya aufgewachsen ist und 2002 nach Deutschland kam, rechnet zurzeit mit dem Schlimmsten. Die furchtbare Ungewissheit macht ihn fix und fertig. „Wenn ich nur wüsste, wie es meiner Familie geht und ob sie etwas brauchen, würde ich mir sofort zwei Wochen Urlaub nehmen und hinfahren“, sagt er nachdenklich. Auch Ehefrau Aysegül plagen große Sorgen. Sie kann ihre Eltern im Nachbarort in der Türkei an der Grenze zu Syrien ebenfalls nicht mehr erreichen. Der Cousin, der ihn benachrichtigte, hat ihm klipp und klar gesagt, dass das eigene Haus der Familie dem Erdboden gleichgemacht wurde. „Sehen Sie“, sagt Karadöl und zeigt ein Video auf dem Handy, das die Straße und die Stelle zeigt, an der das Haus stand, das sein Vater Fahri, der 2008 starb, eigenhändig aufgebaut hat. „Wo vorher Hunderte Gebäude gestanden haben, guckt man jetzt nur noch geradeaus“, berichtet Ömer Karadöl.

Hier ist er aufgewachsen. Die Olivenbäume, die frischen Granatäpfel, Feigen und Mandeln, Plantagen mit Zitronen und Orangen. Berge und flaches Land. Der feine Duft der Seife aus gepressten Lorbeerblättern, für die die Gegend berühmt ist. Der Fluss Asi, der Antakya teilt. „Wir hatten nicht viel. Spielzeug haben wir uns oft selbst gebastelt.“ Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit werden wach. Kleine selbst gebaute Miniatur-Autos aus Bambus, mit denen man spielen konnte. Erst viel später hielt das erste Fernsehgerät Einzug in den Haushalt.

Erdbeben Türkei/Syrien: Die Bergungsarbeiten am Tag danach
9 Bilder

Schweres Erdbeben in der Türkei – Bergungsarbeiten und Hilfsgüter

9 Bilder
Foto: dpa/Anas Alkharboutli

Vor zehn Jahren starb sein zweiter Bruder. „Das hat uns als Familie noch viel mehr zusammengeschweißt“, verrät er. Jeden zweiten Tag hat er mit Mutter Hacer, Bruder Mustafa und der Schwägerin telefoniert. Seit dem gewaltigen Erdbeben kommen keine Anrufe mehr. Nicht mal am Dienstag, an seinem Geburtstag. Aber nach Feiern ist ihm ohnehin nicht zumute. Sein Chef merkte sofort, dass etwas nicht stimmt, nahm ihn beiseite und zeigte Verständnis. Seitdem erledigt Karadöl nur die dringendsten Arbeiten, die kein anderer übernehmen kann. Sobald wie möglich möchte der kaufmännische Angestellte dringend benötigte Generatoren, Heizlüfter und Zelte in sein Auto packen und die 3700 Kilometer nach Antakya zurücklegen.

Einmal im Jahr ist er mit Ehefrau Aysegül und den Kindern die Strecke gefahren, um Urlaub zu machen in seiner Heimat. Durch Österreich, Ungarn, Serbien und Bulgarien führt die Route, die meistens vier Tage dauert. „Materielles lässt sich ersetzen. Was zählt, sind Gesundheit und dass meine Familie noch am Leben ist“, erklärt Ömer Karadöl, der sich seit vielen Jahren im Vorstand der Hückelhovener Moscheegemeinde des Verbands der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) engagiert. In den Gebetsstätten an der Hückelhovener Ludovicistraße sowie an der Jacobastraße in Schaufenberg wird aktuell Geld gesammelt, das zeitnah an eine Partnerorganisation überwiesen werden soll, um den notleidenden Erdbeben-Opfern möglichst rasch und unkompliziert zu helfen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort