Ein Zeitzeuge berichtet In Pionierkleidung zum Fahnenappell

Andreas Herzog besuchte das Gymnasium. Der ehemalige Stasi-Häftling berichtete 30 Jahre nach dem Mauerfall vom Leben in einem Land, das es längst nicht mehr gibt.

 An den Film „Das schweigende Klassenzimmer“ schlossen sich in der Aula ein Vortrag und Gespräch mit dem DDR-Zeitzeugen Andreas Herzog an. Beeindruckt waren Gymnasiasten der Stufen 9 und 11.

An den Film „Das schweigende Klassenzimmer“ schlossen sich in der Aula ein Vortrag und Gespräch mit dem DDR-Zeitzeugen Andreas Herzog an. Beeindruckt waren Gymnasiasten der Stufen 9 und 11.

Foto: Ruth Klapproth

In Pionierkleidung zum Fahnenappell auf dem Schulhof antreten. Die Jugendweihe als Bekenntnis zum Staat und offizieller Eintritt ins Erwachsenenalter. Der Konflikt mit den protestantischen Eltern. Weil er beides wollte – Konfirmation und Jugendweihe. Der Fluchtversuch, getarnt als Urlaubsreise ins sozialistische Ausland. Verhaftung und Verhöre im Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Das Urteil: fünfeinhalb Jahre wegen Fahnenflucht und angeblicher Spionage, die er abgesessen hat in Bautzen.

DDR-Zeitzeuge Andreas Herzog tritt bescheiden auf. Der 61-Jährige kündigt an, den Neuntklässlern des Hückelhovener Gymnasiums „ein bisschen was über mein Leben in der DDR zu erzählen“. Sein Leben verlief ereignisreich und nicht immer schön. Der Wahl-Düsseldorfer, der im Westen Fuß fasste und Germanistik sowie Philosophie studierte, hat einiges hinter sich. Heute lebt er in der Landeshauptstadt, wo ihn ein Dachverband einer Organisation für Menschen mit Handicap als Bürokaufmann beschäftigt. 1300 Seiten umfasst seine Stasi-Akte, die er beim DDR-Thementag präsentiert. Gespannt hören ihm die Schüler zu, stellen Fragen. Wie hat er nach seiner Ausreise Kontakt gehalten zu den Eltern? Und was war anders als in der DDR? „Alles war neu, alles war das erste Mal“, erinnert er sich, der aus der Oberlausitz stammt. „Pizza zum Beispiel. Die gab es in der DDR nicht.“ Herzog entführt seine Zuhörer in ein ihnen unbekanntes Land, das bei ihrer Geburt längst aufgehört hatte zu existieren. Herzog hat eine alte Landkarte mitgebracht, auf der die 15 Bezirksstädte der Deutschen Demokratischen Republik eingezeichnet sind, in etwa vergleichbar mit den heutigen Bundesländern. Auch seine alten Zeugnisse hat er dabei, um den Gymnasiasten zu verdeutlichen, was damals eine Rolle spielte – nicht die Noten, sondern Anmerkungen wie „Andreas nahm an der Jugendweihe teil und ist Mitglied der FDJ.“ Oder: „Seine Einstellung zum Staat ist noch nicht genügend gefestigt.“ Das Gefühl, in der DDR zu leben, umschreibt er mit einem Buchtitel von Autor Erich Loest: „Es geht seinen Gang“ – wissen, dass man eingesperrt war, sich arrangieren mit den Gegebenheiten. Als 18-jähriger Internatsschüler unterschreibt er, was Anwerber des Wehrkreiskommandos ihm vorlegen, wird Soldat auf Zeit mit der Aussicht, in Ostberlin Dienst zu verrichten. Ostberlin, Hauptstadt der DDR, für ihn Schlaraffenland. Volle Schaufenster und Regale, kulturelle Angebote. Er kommt zum Wachregiment Feliks Dzierzynski, dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt, nach dem Gründer der sowjetrussischen Geheimpolizei Tscheka benannt. Sein Fazit: „Die DDR war eine Parteiendiktatur.“

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