Hilden Warum alle Welt das Neandertal kennt

Hilden · Mit den ersten Knochenfunden vor mehr als 150 Jahren ging es los. Um die Jahrtausendwende kam dann noch mal ein Zufallsfund hinzu. Jetzt kennt man sogar seine Erbinformationen.

 In dem kleinen Gläschen steckt das Genom des Steinzeitmenschen. Gefunden und extrahiert hat man es durch die Knochen des Neandertalers.

In dem kleinen Gläschen steckt das Genom des Steinzeitmenschen. Gefunden und extrahiert hat man es durch die Knochen des Neandertalers.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Zwei Steinbrucharbeiter räumen eine Höhle aus. Und plötzlich stehen sie vor ein paar Knochen. Es könnten Tierknochen sein, oder die eines Verunglückten. Man hätte sie einfach beiseite räumen oder mit dem Schutt auf die Schubkarre laden können. Dass die beiden italienischen Gastarbeiter genau das nicht taten, ist nun mehr als 150 Jahre später der Grund für die Pilgerreise von Millionen Museumsbesuchern ins Neandertal.

Denn dort, wo heute die Fundstelle ist, geschah damals Epochales. Die beiden Männer übergaben ihren Fund dem Steinbruchbesitzer und der wiederum brachte die Knochen nach Wuppertal. "Das war schon hellsichtig", glaubt Bärbel Auffermann. Die stellvertretende Museumsleiterin freut sich darüber, wie die Sache damals gelaufen ist. Denn ohne den spektakulären Fund in Sichtweite zu ihrem Büro gäbe es das Museum nicht.

Und auch nicht all das, was seither darauf folgte. Die Knochen jedenfalls lagen irgendwann auf dem Schreibtisch von Johann Carl Fuhlrott. Der Wuppertaler Realschullehrer erinnerte sich augenscheinlich an das, was er an der Uni in Bonn in seinen Vorlesungen zur Paläontologie gehört und gesehen hatte und schrieb die Funde vorhistorischer Zeit zu. Jedenfalls hatte er da so eine Ahnung, mit der er sich in einen Kreis von Experten wagte.

Nicht ernst genommen und entmutigt verließ Fuhlrott damals die Runde. "Schade, dass ihm zu Lebzeiten keine Anerkennung zuteil wurde", bedauert Bärbel Auffermann. 140 Jahre nach seinem Tode herrscht daran nun kein Mangel mehr, und auch Svante Pääbo würde sich bestimmt beim Wuppertaler Naturforscher für seinen Mut bedanken. Der schwedische Begründer der Paläogenetik war es jedenfalls, der nicht nur der Wissenschaft, sondern auch dem Neanderthal Museum vor Jahren zu einem ganz besonderen Highlight verhalf. Vom Forschergeist getrieben schabte er an einem der Knochen herum, um eine Probe zu entnehmen.

Die wiederum wurde pulverisiert und irgendwann war klar: In den kleinen Gläschen steckt das Genom des Steinzeitmenschen. Ach ja, die Hildener Firma Qiagen hatte dabei auch noch ein Wörtchen mitzureden. Das Biotechnologieunternehmen lieferte die Voraussetzungen dafür, dass die Bestimmung überhaupt möglich war. Und deshalb ist in diesem kleinen Gläschen, auf das der Neandertaler heute im Museum nicht ohne Stolz schaut, keineswegs nur Wasser. Sondern mit der DNA das kleinste Fundstück, das noch immer die Forscher beschäftigt.

Übrigens: Noch vor der Jahrtausendwende gab es an der Fundstelle einen Zufallsfund. Daraufhin wurde dort noch mal gegraben und das, was man fand, liegt heute unter Glas im Museum. Knochenstücke, Zähne und allerlei Relikte, die nach zwei Jahren mühseliger Kleinarbeit dem Neandertaler zugeschrieben werden konnten, können dort in Augenschein genommen werden. Und deshalb weiß man heute: Schon in der Steinzeit war Zahnpflege an der Tagesordnung. Jedenfalls gibt es an den Backenzähnen Hinweise darauf, dass Gräser als Zahnseide zum Einsatz kamen.

Ob da noch mehr herumliegt im Neandertal? Ja, vielleicht. Aber ausgraben will es derzeit niemand. "Da sagt man eher: Lass das mal liegen, da liegt es gut. Wenn das in 20 Jahren jemand ausgraben will, bitteschön", antwortet Bärbel Auffermann auf die Frage, ob es einem Experten bei dem Gedanken an Fundstücke ständig in den Fingern juckt. Spannender seien da die Ausgrabungsstätten, an denen man auf unberührte Relikte zu stoßen hofft. Und das sei im Neandertal, wo durch Steinbrucharbeiten alles durchgewühlt sei, nun mal nicht zu erwarten.

(RP)
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