Die schwere Geburt des Kreises Mettmann (1) Vor 40 Jahren: Ein Gesetz macht Ratingen richtig groß

Hilden · Was für eine Zeit! Horst Becker (75) und Dr. Alfred Dahlmann (81) erinnern sich sehr genau. Zum 1. Januar 1975 trat die "Kommunale Neugliederung" in Kraft - ein gigantischer Umverteilungsplan, der vieles verändern sollte. Ja, es war ein Ringen um die Macht, um Gebiete und um Identitäten - schon eine Art Monopoly auf regionaler Ebene.

Rückblende. Das Gesetz des Landes wurde von langer Hand vorbereitet. Eine Kommission sollte die Dinge in die rechten Wege leiten. Man fuhr mit dem Bus in strittige Eingliederungsgebiete. Das Amt Angerland hatte das erklärte Ziel, eigenständig als Stadt weiter zu bestehen, doch das neue Gesetz machte juristisch reinen Tisch: Das Amt Angerland und seine bis dahin selbstständigen Gemeinden verloren ihre Selbstständigkeit.

Becker zählt auf: "Ratingen vergrößerte sich um die aus dem Amt Angerland kommenden Gemeinden Lintorf, Eggerscheidt, Breitscheid und Hösel. Vom früheren Amt Hubbelrath kamen große Teile der Gemeinde Homberg, Homberg-Meiersberg und Hasselbeck-Schwarzbach, zudem Reste des Amtes Angerland." Düsseldorf schluckte Angermund und Wittlaer. Kettwig wurde Essen zugeschlagen. Und: Ratingen hatte über Nacht 30.000 Bürger mehr.

Becker und Dahlmann haben damals den Wandel organisiert, diese sehr sensible Übergangszeit. Becker wurde von Innenminister Willi Weyer (FDP) zum "Beauftragten für die Wahrnehmung der Geschäfte des Bürgermeisters und des Rates" ernannt. Der damals 30-Jährige, der jüngste Beauftragte in ganz NRW, war nun kommissarischer Bürgermeister, Dahlmann fungierte als Verwaltungskommissar. "Es war schon ein bisschen unheimlich", umschrieb FDP-Mann Becker dieses Gefühl, plötzlich über geballte Macht- und Entscheidungsfülle zu verfügen. Dahlmann, von Hause aus Jurist, urteilte eher nüchtern: "Diese Neugliederung hat den Normalbürger eigentlich wenig berührt."

Und doch: Im Amt Angerland brodelte es gewaltig, Dahlmann übernahm die Schlüsselgewalt über das alte Lintorfer Rathaus, informierte die Mitarbeiter über neue Strukturen, die da plötzlich über sie hereinbrachen. Das Problem: Die von der Stadt Ratingen eingemeindeten Beamten und Angestellten mussten von der Stadt Ratingen übernommen und eben auch bezahlt werden. Becker betonte: "Das Rathaus war von Anfang an zu klein, an der Minoritenstraße entstand ein weiteres Verwaltungsgebäude."

Dahlmann und Becker sind davon überzeugt, dass Ratingen durch die Gebietsreform insgesamt stärker geworden ist. Selbstbewusst war man schon immer, aber jetzt hatte man eine größere Bühne und konnte über kurze Wege und Kontakte große Projekte verwirklichen - wie zum Beispiel den Bau des Krankenhauses an der Werdener Straße. Ein Beleg für eine eigene Identität sei auch die Tatsache, dass die Gebäude, in dem das für den Kreis zuständige Adam-Josef-Cüppers-Berufskolleg untergebracht ist, nach wie vor der Stadt gehörten, sagt Dahlmann.

Am 23. Mai 1975 wählte der neue Stadtrat Ernst Dietrich (CDU) zum Bürgermeister. Beckers Job war erledigt. In seiner kurzen Amtszeit als kommissarischer Bürgermeister fasste er immerhin 600 Beschlüsse, so auch den Grundstückskauf an der Ecke Düsseldorfer Straße/Ecke Grabenstraße, an der das ehemalige Hertie-Haus steht.

Becker und Dahlmann gelang es auch, den Brunnen, der schließlich auf dem Marktplatz installiert wurde, über Sponsoren zu finanzieren - und ohne Steuergelder. "Ja, es war schon eine spannende Zeit", urteilte Becker. Ein leichtes Kopfnicken bei seinem langjährigen Weggefährten, der wie sein Kollege das politische Geschehen in Ratingen noch sehr genau verfolgt. Auch heute noch haben Becker und Dahlmann regen Kontakt - wie damals.

(RP)
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