Hilden Steine als Anstoß

Düsseldorf · Gestern wurden zwei weitere "Stolpersteine" in Hilden verlegt. Schüler erforschten das Schicksal der Juden Henry und Rolf Bernstein, die von den Nazis ermordet wurden. Der Cousin von Rolf besuchte die Zeremonie.

Gunter Demnig hebelt eine Platte aus dem Fußweg vor dem Haus Mettmanner Straße 76. Er wirkt unbeeindruckt von der Menschentraube, die ihm gespannt auf die Finger schaut. Der Kölner Künstler hat das schon über 9500 Mal gemacht: "Stolpersteine" verlegen. Die Routine im Handwerk hat mit dem eigentlichen Moment, mit der Einzigartigkeit der Verlegung dieser zwei Stolpersteine vor dem hellgelben Haus in Hilden nichts zu tun — zumal jeder dieser quadratischen Steine mit der goldenen Messingplatte ganz individuell an ein Schicksal erinnert. An ein Opfer des Nationalsozialismus.

Erst Radfahren, dann Deportation

Dreißiger Jahre. Henry Bernstein und sein Sohn Rolf wohnen in der Mettmanner Straße. Sie sind Juden. Schon seit einiger Zeit darf der junge Rolf nur noch im Garten spielen. Zusammen mit seinem Cousin Gary Eichenwald spielt er oft im Hintergarten, sie lernen zusammen Radfahren, bauen sich einen Buggy, den sie "Manny" nennen.

Nach der Reichspogromnacht 1938 flieht die Familie Bernstein. Sie finden Unterschlupf bei Benjamin Blankenstein, ein Lehrer von Rolf. Im Haus der Blankensteins leben sie auf dem Dachboden, bis sie verraten werden. Blankenstein wird wegen Verrats ermordet.

Verhaftung, Deportation nach Theresienstadt. Im September 1944 kommt Henry Bernstein nach Auschwitz und wird dort umgebracht. Rolf ebenso. Es war 15 Jahre alt. Die Mutter, Martha Bernstein, überlebte Theresienstadt und ging mit ihrem Neffen Gary Eichenwald (sein Vater wurde auch von den Nazis getötet) in die USA.

Gary Eichenwald ist heute ein alter Mann, lebt in Florida. Zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist er wieder in Deutschland, wieder in Hilden und Benrath — an den beiden Orten, an denen er aufgewachsen ist.

Beim Laufen inne halten

Als Demnig die Stolpersteine für Henry und Rolf verlegt hat, schreitet Eichenwald mit seiner Frau zu ihnen. Er verharrt nicht lange vor den Steinen, die so friedlich in der goldenen Herbstsonne blitzen. Der Schmerz ist zu groß. Er weint.

Spätestens jetzt ist den Schülern der neunten Klasse von der Albert-Schweitzer-Schule, die die Projekt-Patenschaft für die beiden Stolpersteine übernommen haben, die Tragweite des Themas bewusst. Sie waren es, die Eichenwald ausfindig machten, Kontakte herstellten. Auch zur Tochter von Blankenstein, Thea, die gestern ebenfalls da war.

Die Zeremonie nach der Verlegung ist emotional. Bürgermeister Günter Scheib fordert zum "Stolpern" auf, zum Innehalten und Nachdenken — Sinn des Projektes. Rabbiner Julian Chaim Soussan aus Düsseldorf spricht das jüdische Totengebet. In einer anschließenden Feierstunde im evangelischen Gemeindezentrum wird die Thematik vertieft. Im Februar werden die nächsten Steine verlegt. Demnig: "Um sie genau anzuschauen, muss man sich übrigens verbeugen".

(RP)
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