Hilden Weil es keinen Zug gibt

Diesen Text hat der Journalist und Schriftsteller Salah Ali Ngab vor ein paar Tagen auf Deutsch verfasst und uns zur Verfügung gestellt.

 Flüchtling Salah Gnap

Flüchtling Salah Gnap

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Während ich auf den verspäteten Zug auf dem Hauptbahnhof wartete, sagte ich zu der neben mir stehenden Person: „In meinem Land kommt der Zug nie zu spät.“

Die Person antwortete mir mit einem Lächeln: „Ihr habt Schwein. Aus welchem Land sind Sie gekommen?“ Er war eine Person, die ich nicht kenne, und noch nie getroffen habe und glaube nicht, dass ich ihn wiedersehen werde. In den deutschen Bahnhöfen findet man immer eine Antwort auf diese Frage, die die Anzahl fast allen Ländern der Welt entspricht. Ich sagte: „Ich komme aus Libyen, und dort gibt es keine Züge, die sich verspäten können.“

Der Mann versuchte zu lachen, und als er versuchte, sein Lächeln zu verbergen, fragte er mich: „Warum bist du nach Deutschland gekommen?“ Ich antwortete: „Ich bin hierher gekommen, weil ich mit dem Zug fahren möchte.“

Der Mann, der mich fragte, sah mich nach meiner Antwort überrascht an: „Nur aus diesem Grund?“

Bevor ich seine Frage beantwortete, begann eine Stimme aus einem irgendwo in der Station installierten Lautsprecher, den Ausfall des Zuges anzukündigen, auf den wir warteten. Der Mann sagte, ohne zu kommentieren: „Wie immer!!“ Die Wartezeit von zehn Minuten war so auf vierzig Minuten gestiegen, und dies wäre genug Zeit, um länger zu reden.

Es war nicht leicht, jemanden zu finden, mit dem man lange reden konnte. Ich fand es als eine gute Gelegenheit, mein armes Deutsch zu testen: Es gab andere Gründe, aber das Thema des Zuges war für mich ein Kindheitstraum. Wir haben als Kinder die Züge nur im Fernsehen gesehen. Alle unsere Nachbarländer haben einen Zug, Sie können es im Google nachschauen.

Der Mann fragte mich: „Was ist mit den anderen Sachen?“

Ich war ein bisschen in mich gekehrt, als ich die Sachen aufzählte, die dazu führten, dass ich nach Deutschland kam, in meinem Fall ein glücklicher Zufall, und ich sagte: „Viele Sachen, wie zum Beispiel das, was ich in Berlin gesehen habe, wo Salafisten, die Anhänger der Zeugen Jehovas und die Anhänger der Ahmadiyya in der Nähe von einer Synagoge waren, die jeweils Flyer für ihre Religion verteilten, ohne zu versuchen den anderen daran zu hindern, und interessanterweise waren die meisten Passanten Christen.“

Er hat mir eine naive Frage gestellt, und so dachte ich über sie nach: „Was ist daran seltsam?“ Ich antwortete: „So etwas entzündet einen Bürgerkrieg, aus dem ich gekommen bin.“

Wir schwiegen beide, als eine schöne Frau vorbeiging und der Mann drehte sich zu mir und sagte: „Und solche Sachen auch.“ Ich sagte: „Das ist auch ein erwähnenswerter Grund, dass ich die Hand meiner Freundin halten oder sogar riskieren könnte, sie auf offener Straße zu küssen, ohne Angst zu haben, wegen des Ausdrucks von Gefühlen in der Öffentlichkeit festgenommen zu werden.“

Der Mann fragte mich: „Ist das Küssen dort ein Verbrechen?“ Ich antwortete: „Ja, wenn Sie am falschen Ort geboren werden, wird alles, was Sie tun, ein Verbrechen sein.“

Der Mann fragte noch einmal: „Gibt es noch andere Träume, die Sie hier erreicht haben?“ Ich antwortete: „Ich konnte den Traum von meinem eigenen Briefkasten wahr werden lassen. Eine Nummer hing an meiner Haustür, statt meiner Nummer in den Geheimdienstakten.“

Wieder herrschte Stille, als wir auf die Zuggleise blickten; und er sagte zu mir mit leiser Stimme: „Vielen Dank, du hast mir einen großen Dienst erwiesen, ohne es zu wissen. Ich bin ein kläglicher Mann, der daran dachte, sich vor den nächsten Zug zu werfen. Aber nachdem ich dich gehört habe, setzte ich mich wieder auseinander damit. Ich bin vielleicht auch am falschen Ort geboren. Natürlich aus verschiedenen Gründen. Statt an Selbstmord, denke ich jetzt einfach daran, das zu tun, was du getan hast.“ Ich sagte ihm, dass ich überrascht war, hier einen Mann zu treffen, der Selbstmord begehen wollte: „Eine gute Entscheidung, aber mein Rat für dich ist, es nicht zu überstürzen. Gott hat sich 30 Jahre Zeit gelassen, bis er mich an den richtigen Ort schickte.“

Der Zug kam und hielt am Bahnhof, und ich schüttelte dem Mann, dessen Namen ich nicht wusste, die Hand. Er ging zurück in die Stadt, während ich in den Zug einstieg und in die Landeshauptstadt fuhr.

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