Sieben Fakten über den 9. November 1938 in Hilden Reichspogromnacht ist Hildens dunkelstes Kapitel

Hilden · Am 9. November 1938 zogen Nazis marodierend und mordend durch Hilden. Sieben Menschen starben in der Reichspogromnacht, wurden in den Tod getrieben oder erlagen später an ihren Verletzungen – gemessen an der Einwohnerzahl so viele wie sonst nirgendwo.

Nur ein paar Tage nach der Reichspogromnacht heißen Hunderte Hildenerdie Wehrmachts-Soldaten vor dem damaligen Rathaus an der Mittelstraße willkommen.

Nur ein paar Tage nach der Reichspogromnacht heißen Hunderte Hildenerdie Wehrmachts-Soldaten vor dem damaligen Rathaus an der Mittelstraße willkommen.

Foto: Stadtarchiv Hilden

Heute vor 82 Jahren bringen marodierende Nazis in Hilden mehrere Menschen um, verletzen sie so schwer, dass sie später daran sterben, oder drängen sie in den Tod. Die Reichspogromnacht ist ein schwarzes Kapitel in der Geschichte Hildens. Im Rahmen unserer neuen Serie „Sieben Fakten“ haben wir einige Hintergründe über den 9. November 1938 zusammengetragen, die Ihnen vielleicht nicht geläufig waren.

1) Die Nazis betranken sich vor ihrem mörderischen Zug durch Hilden im „Deutschen Haus“ an der Benrather Straße 20. Dort feiern die NSDAP-Anhänger mit viel Alkohol den Jahrestag des Hitlerputsches 1923. Als sie die Nachricht erreicht, dass der deutsche Diplomaten Ernst vom Rath nach dem Attentat durch Herschel Grynszpan gestorben ist, heizt sich die Stimmung auf. Mit Verstärkung aus Düsseldorf ziehen die Nazis marodierend durch die Stadt, zerstören Schaufensterscheiben und dringen in die Wohnungen jüdischer Mitbürger ein, um sie zu töten oder in den Selbstmord zu treiben.

Bild vom Eingang des Kinos Mittelstraße 39 aus dem Jahr 1938: „Juden sind hier nicht erwünscht“.

Bild vom Eingang des Kinos Mittelstraße 39 aus dem Jahr 1938: „Juden sind hier nicht erwünscht“.

Foto: Stadtarchiv Hilden

2) Nazis bringen ehemalige Brennerei-Besitzerfamilie um.  Die Mitglieder der vorher hoch angesehenen Familie Willner sind die ersten Opfer in der Nacht. Die Willners betreiben bis 1937 die Kornbrennerei und wohnen nur 150 Meter vom Deutschen Haus entfernt an der Benrather Straße 32 direkt vor der Kornbrennerei. Ein Schlägertrupp dringt gewaltsam in die Wohnung ein, misshandelt Eugenie und Ernst Willner. Dann fallen Schüssen, Eugenie stirbt. Ernst Willner kann sich zunächst auf dem Dachboden verstecken. Doch später kommen die Nazis zurück und erschießen auch ihn.

Links Kaufhaus Schnatenberg, rechts das Tengelmann Kaffee-Geschäft von Carl Herz. Er war Jude und wurde in der Pogromnacht in seiner Wohnung erstochen.

Links Kaufhaus Schnatenberg, rechts das Tengelmann Kaffee-Geschäft von Carl Herz. Er war Jude und wurde in der Pogromnacht in seiner Wohnung erstochen.

Foto: Rolf Schnatenberg/Christoph Schmidt

3) Arztgattin überlebt Selbstmordversuch als einzge. Siegmund Sommer und seine Frau Gertrud schlafen, als ein SA-Mann in das Haus des Arztes an der Gerresheimer Straße 340 eindringt. Der Nazi schüchtert die beiden ein, die Haushälterin Hendrika Grüter steht hilflos daneben. Der SA-Mann erweckt den Eindruck, er habe eine Waffe in der Tasche, die er gleich benutzen wird. Doch dann zieht er ab. Das Ehepaar Sommer und ihre Haushälterin nehmen eine Überdosis Schlafmittel: „In einem solchen Zustande kann man nicht mehr leben“, sagt Siegmund Sommer. Hendrika Grüter und er sterben, seine Frau Gertrud kann wiederbelebt werden.

 Textilhändler Carl Herz stirbt in der Reichspogromnacht.

Textilhändler Carl Herz stirbt in der Reichspogromnacht.

Foto: Stadtarchiv Hilden

4) Bedrückender Rekord für Hilden. Sieben Menschen sterben an den Folgen des Pogroms. Gemessen an der Einwohnerzahl Hildens zu der Zeit (rund 20.000) sind nirgendwo im damaligen Deutschen Reich mehr Menschen ermordet oder in den Tod gedrängt worden.

Im „Braunen Haus“ an der Mittelstraße (heute Sparkasse) residierten die Hildener Nazis, hier eine Flaggenhissung am 9. April 1938.

Im „Braunen Haus“ an der Mittelstraße (heute Sparkasse) residierten die Hildener Nazis, hier eine Flaggenhissung am 9. April 1938.

Foto: Stadtarchiv Hilden

5) Hildener Zeitung nennt Reichspogromnacht „Protestaktion gegen die Juden“. „Es kam in der vorvergangenen Nacht zu Aktionen gegen die hiesigen jüdischen Geschäfte, deren Schaufensterscheiben zertrümmert wurden. Auch Zerstörungen in den Wohnungen der hier noch lebenden Juden waren Ausdruck der berechtigten Erregung gegen den jüdischen Meuchelmord.“ Kein Wort zu den Opfern und zu den Gräueltaten der Nazis an der Hildener Bevölkerung mit jüdischem Glauben.

6) 1933 leben 54 jüdische Mitbürger in Hilden. Im Januar 1942 gibt Bürgermeister Walter Schomburg in einer Ratssitzung bekannt, dass „Hilden seit dem 31. Dezember judenfrei” sei. Die letzten jüdischen Bewohner, die die Reichspogromnacht überleben und nicht fliehen können, werden im November/Dezember 1941 deportiert.

 NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Thiele.

NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Thiele.

Foto: Stadtarchiv Hilden
 Stadtführung mit Wolfgang Antweiler: Mahnmal

Stadtführung mit Wolfgang Antweiler: Mahnmal

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

7) 1948 und 1950 stehen die Mörder von damals vor Gericht. Die Richter schicken den Haupttäter „wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag“ lebenslang ins Gefängnis. Neun weitere Angeklagte erhalten kurze Haftstrafen. NS-Ortsgruppenführer Heinrich Thiele, der den Mördertrupp am 9. November 1938 angeführt haben soll, wird für die Taten in der Reichspogromnacht nie angeklagt.

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