Hilden Mehr Jungen mit Lerndefiziten

Düsseldorf · Leistungsverweigerer sind in Hilden zu 92 Prozent männlich. Nahm einige Jahre lang der Anteil der Mädchen bei Entwicklungs- und Leistungsstörungen zu, hat sich der Trend inzwischen wieder umgekehrt.

Der Zappel-Philipp ist männlich. Nicht nur im "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann, sondern auch, wenn er Dr. Reinhard Mühlen, dem Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Hilden, gegenübersitzt. Hatte sich noch bis 2004 laut Langzeit-Statistik die Zahl der Mädchen mit Entwicklungs- und Leistungsstörungen von 35 auf 42 Prozent erhöht, so hat sich die Entwicklung inzwischen umgekehrt. Der Anteil der Jungen ist wieder gestiegen. "81 Prozent zeigen eine auffällig geringe Leistungsmotivation", stellt Mühlen die jüngste Entwicklung vor. "Dagegen sind es nur 19 Prozent der Mädchen." Leistungsverweigerer seien sogar zu 92 Prozent männlich.

Zu lange still sitzen

Beim Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS) – einer Kombination aus Aufmerksamkeitsproblemen, impulsivem Verhalten und Hyperaktivität – waren von 16 Kindern, die 2008 zur Beratung kamen, nur drei Mädchen. Ließen sich zappelige Jungen im Kindergarten noch leichter integrieren, weil sie sich dort im Freigelände austoben konnten, fangen die Schwierigkeiten in der Grundschule an. "Es ist eine Herausforderung, weil sowohl bei der Leistung als auch beim Sozialverhalten einfach viel mehr verlangt wird", weiß Mühlen. Fünf Stunden still auf dem Stuhl zu sitzen, sei für "wilde Jungs" kaum möglich. Die schulische Realität habe sich in den vergangenen zehn Jahren geändert. Immer mehr Kinder würden früher eingeschult. Und in den neuen Eingangsklassen unterrichtet eine Lehrerin jetzt zwei Jahrgänge gemeinsam.

Der Widerspruch zwischen pädagogisch Wünschenswertem und der schulischen Realität ließen auch den motivierten Pädagogen immer weniger Spielraum, um auf schwierige Kinder einzugehen. Mädchen und Jungen mit Schwächen würden im Unterricht nicht ausreichend gefördert. Selbst in integrativen Schulen sei das so.

"An unseren Zahlen lässt sich ablesen, dass besonders die Kompetenz der Jungen im Schulalltag nicht ausgeschöpft wird", bedauert Mühlen. Mädchen kämen mit den Techniken, die die fast ausnahmslos weiblichen Lehrkräfte vermittelten, besser klar. Jungen hingegen lernten anders: "Sie sind spontaner, experimentieren mehr und brauchen viel Bewegung", sagt Mühlen. Mädchen hingegen seien kommunikativer, ihre Koordinationsfähigkeit sei früher ausgereift als die der Jungen. "Das passt besser in die Schullandschaft, so wie sie ist."

Männliche Vorbilder fehlen

Als weiteren Faktor nennt Mühlen fehlende männliche Pädagogen. Jungen suchten sich deshalb ihre Vorbilder häufig in den Medien. Dort seien Männer meistens cool und dominant. "Die Lücke wird nicht positiv geschlossen", betont der Psychologe. In der Beratung versuche er immer wieder gegenseitige Schuldzuweisungen zu vermeiden. Eltern, Lehrer und Pädagogen sollten zum Wohl der Kinder ein Team bilden. Jedoch lasse sich nicht jedes Problem therapieren. Ist beispielsweise die Wahrnehmungsverarbeitung eingeschränkt, gehöre dies auch zum persönlichen Charakter des Kindes. "Die Beteiligten müssen dann lernen, damit zu leben."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort