Hilden Leben wie in einer Familie

Hilden · Fern von ihren Eltern haben Jungen und Mädchen im Internat des evangelischen Schulzentrums Hilden ein zweites Zuhause. Hier werden sie in der Schule unterstützt, aber auch bei Freizeitaktivitäten.

Zahnpasta auf Türklinken schmieren oder ähnliche Streiche gehören nicht zum Alltag am Internat an der Gerresheimer Straße. "Das ist hier nicht wie im Film, sondern eher wie ein normales Familienleben", erklärt Alexander Mohl. Der 16-jährige Kölner besucht die evangelische Einrichtung seit dreieinhalb Jahren. "Ich hatte eine Schule in der Nähe von Köln gesucht, bei der ich bei den Hausaufgaben gut betreut werde", erzählt er. Da seien er und seine alleinerziehende Mutter auf das Hildener Internat gestoßen.

"Es ist hier sehr nett", sagt Alexander. "Die Zimmer sind voll ausgestattet und gemütlich." Mit seinem Zimmernachbar verstehe er sich gut. Auch mit den Erziehern. "Differenzen gibt es ja überall mal." Am Wochenende fährt er stets nach Hause.

Ihre Küche haben die neun Jungen des Flures selbst geschmückt. An den Wänden hängen Christbaumkugeln. Auf dem großen Holztisch steht ein Adventskranz. Fast alle Möbel stammen von einer Behindertenwerkstatt in Freudenberg.

"Die Häuser sind ungefähr aus den 50er-Jahren", berichtet Internatsleiterin Tanja Leberer. "Die heutigen Einzel- und Doppelzimmer waren früher Vierer- und Sechser-Zimmer." Die 44-Jährige war einst selbst fünf Jahre in dem Haus an der Gerresheimer Straße. "Ich habe hier mein Abi gemacht." Sie habe sich damals für das Internat entschieden, weil sie eine stärkere Unterstützung in der Schule wollte und ihre Mutter oft umgezogen sei. "Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt, auch wenn man mehr Einschränkungen hatte als zu Hause."

50 Jungen und Mädchen zwischen zehn Jahren und Anfang 20 leben in dem Internat. 65 weitere besuchen das Tagesinternat nebenan. 17 Erzieher kümmern sich um sie. Ursprünglich hatte Wilhelmine Fliedner das Internat vor 150 Jahren gegründet, um Töchtern aus der Mittelschicht ein höheres Bildungsniveau zu ermöglichen. Angeschlossen war ein Lyceum. Die Nationalsozialisten schlossen die Einrichtung.

"Einige Jahre nach dem Krieg eröffnete die evangelische Kirche das Internat wieder mit einer Realschule, weil viele Jugendliche aus Ostdeutschland ohne Eltern in den Westen flüchteten und hier eine Schulausbildung brauchten", erzählt Leberer. Zehn Jahre später sei das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium am evangelischen Schulzentrum Hilden hinzugekommen. Und statt der Flüchtlinge aus der DDR kamen schließlich Spätaussiedler aus dem Osten.

"Der letzte Aussiedler-Jahrgang ist vor einem Jahr verabschiedet worden." Heute stammen viele Internatsbewohner aus Familien, die einige Jahre im Ausland leben. "Um einen deutschen Schulabschluss zu gewährleisten, kommen die Kinder für zwei bis drei Jahre hierher, bis sie den Abschluss haben oder die deutsche Sprache in Wort und Schrift genug gefestigt ist." Alexander Mohl will auf jeden Fall noch die nächsten anderthalb Jahre in Hilden bleiben, bis er die Mittlere Reife hat. "Ob ich dann Abi mache oder lieber eine Ausbildung, weiß ich noch nicht", sagt der Neuntklässler, der im Internat zum Flursprecher gewählt wurde.

Insgesamt, sagt Tanja Leberer, seien Internatsschüler selbstständiger als Gleichaltrige, die zu Hause wohnen. "Bei uns lernen sie, eine Waschmaschine zu bedienen und zu kochen." Eine Sache, die Alexander gerne macht. Mittags wird zwar gemeinsam in der Mensa gegessen. "Aber wenn es sich ergibt, kochen wir abends Rührei, Nudeln mit Soße oder Ähnliches."

Viel Freizeit hat der 16-Jährige nicht. Drei Mal die Woche hat er bis 15.30 Uhr Unterricht. Einmal die Woche nutzt er das Internatsangebot, schwimmen zu gehen. "In der übrigen Zeit freue ich mich, wenn ich mich mal vor den PC oder den Fernseher setzen kann."

Tanja Leberer hat die Internatsleitung vor gut einem Jahr übernommen. Im Kollegenkreis seien zwei weitere frühere Mitbewohner, erzählt sie. "Das Schöne am Internat ist der hohe Unterhaltungswert", sagt die gebürtige Mannheimerin, die eine Zeit lang in Spanien gelebt hat. "Man findet immer jemanden zum Quatschen oder jemanden, der mit einem kickert oder Billard spielt."

(RP/rl)
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