Interview Reiner Nieswandt Kirchenaustritte sind Tebartz-van-Elst-Effekt

Hilden · Die Zahl der Austritte ist in der Katholischen Pfarre St. Chrysanthus und Daria in Haan 2013 stark gestiegen. Der Haaner Pfarrer weiß, warum.

 Dr. Reiner Nieswandt, Pfarrer von St. Chrysanthus und Daria in Haan sowie von St. Nikolaus in Gruiten, vor dem Portal der Haaner Kirche.

Dr. Reiner Nieswandt, Pfarrer von St. Chrysanthus und Daria in Haan sowie von St. Nikolaus in Gruiten, vor dem Portal der Haaner Kirche.

Foto: Olaf Staschik

Herr Nieswandt, Sie haben kürzlich Zahlen zur Katholischen Kirchengemeinde St. Chrysanthus und Daria in Haan veröffentlicht. Ihnen zufolge ist die Zahl der Kirchenaustritte von 2012 auf 2013 von 33 auf 82 gestiegen. Im gleichen Zeitraum stieg aber auch die durchschnittliche Zahl der Kirchenbesucher pro Wochenende, und zwar von 488 auf 835. Warum?

Nieswandt Das liegt an der Art der Erhebung. Wir haben die Kirchenbesucher im November gezählt. Werden genau zu diesem Zeitpunkt auch die neuen Kommunionkinder eingeführt, ist die Kirche überdurchschnittlich voll. Das war am Zähltag im November 2013 der Fall. 2012 wurde in einem Gottesdienst ohne Kommunionkinder gezählt. Generell kann ich sagen, dass 2013 ein guter Kirchenbesuch zu verzeichnen war. Viele Leute signalisieren mir, dass sie gerne in die Kirche kommen.

Bleibt die Zahl der Kirchenaustritte, die stark gestiegen ist. Woran liegt das?

Nieswandt Kaum einer von denen, die ausgetreten sind, ist mir bekannt. Sie waren schon länger kirchenfern. Den Anstoß gab offenbar der Skandal um Franz-Peter Tebartz-van-Elst, den Bischof von Limburg. Viele wollen keine Steuern mehr an die Katholische Kirche zahlen, obwohl der Finanzskandal nicht in ihrem Bistum abgelaufen ist. Ich bin über die hohe Zahl der Kirchenaustritte in diesem Jahr auch sehr erschrocken. Aus meiner Sicht zeigt sich darin eine gewisse Protestform. Es gab im Umfeld dieses Skandals regelrechte Aufforderungen, aus der Kirche auszutreten.

Vor drei Jahren erschütterte bereits der Missbrauchsskandal die Katholische Kirche. Auch damals traten Gemeindemitglieder aus. Welche Bewegung war stärker – die heutige oder die damals?

Nieswandt Während des Missbrauchsskandals waren die Zahlen auch sehr hoch, aber nicht so hoch wie in diesem Jahr. Erschwerend hinzu kam, dass Robert Zollitsch, Freiburger Erzbischof und Vorsitzender der Bischofskonferenz, im Wahlkampf seine Hoffnung geäußert hatte, dass die Alternative für Deutschland nicht in den Bundestag einzieht. Diese politische Kommentierung haben ihm viele übel genommen. Ich habe den Eindruck, dass es im Zuge dieser Ereignisse zu einem erheblichen Säkularisierungschub in Deutschland gekommen ist. Die Menschen legen mehr denn je Wert auf die Trennung von Staat und Kirche.

Auf der anderen Seite erleben wir in Franziskus einen äußerst beliebten und für viele auch richtungsweisenden Papst.

Nieswandt Ja, aber der neue Papst wird an dem Trend zum Kirchenaustritt auch nicht viel ändern können. Er kann keinen Gegentrend setzen. Sein Auftreten hat doch eher Auswirkungen auf die Kerngemeinde. Ich selbst bin froh über unseren Papst und wünsche ihm ein langes Pontifikat. Das Kirchenfürstentum entspricht meiner Einstellung überhaupt nicht. Geiz und Neid sind nach der klassischen kirchlichen Lehre Todsünden. Der Papst legt einen Finger in unsere Wunden, wenn er Geiz und Neid im Zuge seiner Kapitalismus-Kritik ablehnt.

Was können Sie, was muss die Kirche tun, um den Trend zu stoppen?

Nieswandt Es müssen Signale von oben kommen. Ich denke, das Entscheidende ist die Glaubwürdigkeit von Einzelpersonen. Rücksicht auf Arme und Benachteiligte in der Gesellschaft zu fordern, wie es der Papst tunt, ist sicher nicht immer eine bequeme oder populäre Botschaft. Aber es muss der Weg der Kirche sein. Ich glaube nicht, dass Gemeindemitglieder austreten, wenn sie sich über den Pfarrer oder andere Geistliche und Mitarbeiter der Gemeinde vor Ort ärgern. Es sind fundamentale Fragen, an denen sie sich stoßen.

Werfen wir einen Blick auf die Zahl der Erstkommunion-Kinder. Sie ist von 105 auf 90 gesunken. Aus den Kommunionkindern rekrutieren sich die Messdiener und damit mitunter auch treue und engagierte Gemeindemitglieder. Signalisiert die sinkende Zahl auch weniger Nachwuchs?

Nieswandt Nein, die sinkende Zahl hat eher mit den schwankenden Geburtsjahrgängen zu tun. Für 2014 rechne ich wieder mit über 100 Kommunionkindern. Ein Drittel aller angeschriebenen Jugendlichen, die als Kinder zur Erstkommunion gegangen sind, meldet sich im Alter von etwa 16 Jahren zur Firmung an. Und zehn bis 15 Prozent der Kommunionkinder werden Messdiener. Wir können uns also über mangelnden Nachwuchs nicht beklagen.

Gibt es eine Zahl, über die Sie sich freuen?

Nieswandt Ja, die hohe Zahl an Taufen. 82 waren es 2013 und 81 waren es 2012. Da sind wir nach wie vor in Haan ganz gut aufgestellt.

Ein Blick ins neue Jahr – was erwartet die Gemeinde 2014?

Nieswandt Ich möchte die kirchliche Frauenarbeit intensivieren. Die Katholische Frauengemeinschaft Gruiten hat sich Ende dieses Jahres aufgelöst, doch das Thema Frau in der Kirche ist nach wie vor aktuell. Deswegen wollen wir Angebote vor allem für Frauen im mittleren Lebensalter aufbauen. Außerdem haben wir eine Initiative zur Krankenbetreuung gestartet, für die sich viele Freiwillige gemeldet haben. Sie wollen Kranken, die nicht mehr in den Gottesdienst kommen können, die Kommunion nach Hause bringen. Überhaupt wollen wir den Bereich des Ehrenamtes nochmals verstärkt in den Blick nehmen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE ALEXANDRA RÜTTGEN.

(RP)
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