Kinderschutzbund Hilden „Die Kinder waren nicht genug im Blick“

Interview · Nadine Lichtenwimmer, die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Hilden spricht über den Internationalen Tag der Kinderrechte am Sonntag.

Nadine Lichtenwimmer ist die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Hilden.

Nadine Lichtenwimmer ist die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Hilden.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)/Köhlen; Stephan (teph)

Frau Lichtenwimmer, es gibt den internationalen Kindertag im Juni, den Weltkindertag im September und den Tag der Kinderrechte, der jetzt am Sonntag ansteht…

Nadine Lichtenwimmer Und wir beim Kinderschutzbund feiern an allen drei Tagen! Sie sind alle wichtig. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass wir nach einer langen coronabedingten Unterbrechung erst jetzt wieder richtig starten können. Insofern schaden mehrere Tage nicht. Im Gegenteil.

Warum ist der Tag der Kinderrechte in Ihren Augen wichtig?

Lichtenwimmer Weil Kinder viel zu oft noch gar nicht richtig gehört werden! Das Recht auf Bildung etwa ist in unserem Land verankert, in vielen anderen Ländern ist das aber nicht so. Vielen Menschen ist dies gar nicht richtig bewusst. Es ist gut, dass der Tag der Kinderrechte darauf hinweist.

Lassen Sie uns über den Zustand der Kinderrechte in der deutschen Gesellschaft reden. Wie steht es um diese bei uns?

Lichtenwimmer Das ist eine sehr umfassende Frage – so umfassend, dass es dafür eine eigene Monitoringstelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte gibt. Speziell in Hilden haben wir das Kinder- und das Jugendparlament, die sich mit den Kinderrechten seit vielen Jahren beschäftigen. Die Kinder und Jugendlichen beider Parlamente kämpfen mit Herzblut für ihre Kinderrechte und werden bei Projekten miteinbezogen, die für Kinder in Hilden interessant sind. Sie tragen dazu bei, dass es in Hilden viel für und mit Kindern gibt. Darauf sind wir beim Kinderschutzbund sehr stolz!

Unter der vorherigen Bundesregierung ist die Verankerung von Kinderrechten im deutschen Grundgesetz 2021 gescheitert. Bedauern Sie dies?

Lichtenwimmer Das Scheitern der Verhandlungen war 2021 ein herber Rückschlag für die Kinder, Jugendlichen und Familien unseres Landes. Damit wurde die Chance vertan, die Rechte von Kindern nachhaltig zu stärken. Die Kinderrechte sollten dringend in die Verfassung aufgenommen werden. Dafür setzt sich der Kinderschutzbund seit Langem ein. Wir hoffen auf die Umsetzung des aktuellen Koalitionsvertrags, in dem die Aufnahme der Kindergrundsicherung ins Grundgesetz vereinbart wurde.

Wie haben sich die Corona-Beschränkungen und insbesondere die Schulschließungen in den vergangenen Monaten und Jahren auf Kinder ausgewirkt?

Lichtenwimmer Die Kinder waren während des Lockdowns nicht genug im Blick. Sie wurden nicht gehört und nicht beteiligt. Die Bildungsungerechtigkeit hat gerade während des Homeschoolings zugenommen, und die Wissenslücken können nur sehr schwer aufgearbeitet werden. Wir bieten daher eine professionelle Nachhilfe in Kooperation mit dem Schulstandort Schulstraße an. Hinzu kommt, dass mehr Kinder als früher mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Sie konnten Sozialverhalten untereinander kaum erproben. Und Termine bei Therapeuten sind mit langen Wartezeiten verbunden.

Weiten wir den Blick einmal auf die Familien aus: Wie hat sich Corona hier bemerkbar gemacht?

Lichtenwimmer Der Bedarf an Unterstützung hat in der Pandemie stark zugenommen. Gleichzeitig haben sich Eltern noch weniger getraut, Hilfe von außen zu suchen. Probleme, die man durch frühzeitige Interventionen vielleicht hätte verhindern können, sind nach den Lockdowns so noch größer geworden.

Können Sie das konkretisieren?

Lichtenwimmer Ein Beispiel ist unsere Schrei- und Schlafberatung. Sie richtet sich an Familien mit Kindern im ersten Lebensjahr, die sich mit dem Schreien ihres Kindes überfordert fühlen. Hier merken wir, dass die Nachfrage nach Unterstützung durch die Pandemie klar gestiegen ist. Die Eltern mussten ihre sozialen Kontakte während Corona einschränken, dazu sind unter Umständen noch soziale Probleme gekommen. Ein Baby spürt, wenn die Mutter gestresst ist und dies überträgt sich dann auf das Baby. Unsere Fachfrau Petra Quellhorst besucht im Monat drei bis vier Familien und hilft ratsuchenden Eltern darüber hinaus telefonisch.

Wie hat sich die Arbeit des Kinderschutzbundes in den vergangenen Jahren generell verändert? Welche neue Felder sind heute relevant?

Lichtenwimmer Kinder kommen immer früher mit der digitalen Welt in Kontakt und werden ungewollt Gefahren ausgesetzt. Deshalb bieten wir Informationsabende zum Thema „Mediendschungel“ an und klären Interessierte über Cybermobbing, Abzocke im Internet, Urheberrechte und vieles mehr auf. Da Kinder seit der Pandemie auch immer früher dazu angehalten sind, digital unterwegs zu sein, werden wir dieses Projekt ausbauen und enger mit Schulen und vor allem Kindergärten zusammenarbeiten. Mit Tablets und Computern werden Kinder in ihrem Leben nämlich früher denn je konfrontiert.

Welchen Stellenwert schreiben Sie Klima- und Umweltschutz hinsichtlich der Kinderrechte zu?

Lichtenwimmer Die Klimakrise betrifft uns alle, aber vor allem Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt – denn sie haben keinen großen Einfluss darauf. Ihre Ernährung, Gesundheit, Bildung und Zukunft ist in Gefahr. Sehr viele Kinder sind bereits durch Klimaveränderungen Gefahren ausgesetzt. Bespiele sind die extreme Hitze in diesem Sommer oder die Überschwemmungen im vergangenen Jahr, ganz besonders im Ahrtal und selbst bei uns in Hilden. Das Kinder- und Jugendparlament in unserer Stadt befasst sich aktiv mit dem Thema Umweltschutz.

Noch einmal zurück zu Ihnen. Der Kinderschutzbund finanziert sich hauptsächlich durch Spenden. Führt die aktuelle Inflation dazu, dass die Menschen weniger spenden?

Lichtenwimmer Tatsächlich sind die Spenden bereits seit Beginn der Corona-Pandemie zurückgegangen. Und seitdem ist es leider nicht besser, sondern eher schlechter geworden. Der Krieg und die Inflation haben die Situation noch verschärft. Durch die anhaltenden Spendeneinbrüche ist es für uns nicht immer einfach, unsere Angebote durchzuführen. Abstriche in unserer Arbeit für Kinder und Familien mussten wir bislang zum Glück noch nicht vornehmen. Wir hoffen aber, dass sich die Spendenlage im kommenden Jahr verbessert.

Welche Projekte plant der Kinderschutzbund für die kommenden Monate?

Lichtenwimmer Im kommenden Jahr wird es ein spannendes Projekt zum Thema Kinderrechte in Hilden geben. Hierzu laufen gerade Abstimmungen. Klar ist für uns, dass an diesem Projekt Hildener Kinder aktiv beteiligt sein sollen. Ziel ist es, dass die Kinder in Hilden ihre Kinderrechte erfahren und auch Eltern daran erinnert werden, dass die Kinderrechte existieren und sie ihre Kinder schützen sollen. Denn Kinderrechte sind Menschenrechte.

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