Interview Sandra Abend „Fabry war ein sehr bescheidener Mann“

Heute vor 460 Jahren wurde Wilhelm Fabry in Hilden geboren. Der berühmteste Sohn der Stadt hat viele Spuren hinterlassen. Welche, erklärt die Leiterin des Fabry-Museums Sandra Abend im Interview.

 Das Wirken des Wundarztes Fabry fasziniert noch immer. Die Werkzeuge, mit denen er gearbeitet hat, werden im Museum gezeigt.

Das Wirken des Wundarztes Fabry fasziniert noch immer. Die Werkzeuge, mit denen er gearbeitet hat, werden im Museum gezeigt.

Foto: Fabry-Museum Hilden

Wenn Sie Wilhelm Fabry heute zum Geburtstag gratulieren könnten, was würden Sie ihm sagen?

Abend Ich denke, Wilhelm Fabry war ein sehr bescheidener Mann, der gar nicht viel Aufsehen um seinen Geburtstag gemacht hätte. Also würde ich mit ihm über die Kostbarkeit der Lebenszeit sprechen, denn das ist das höchste Gut, und dafür hat er sich viele Jahrzehnte eingesetzt. Und sicher wusste er genau, wie wichtig sein schriftlicher Nachlass war, um sich in gewisser Weise unsterblich zu machen.

Und was würden Sie ihn gerne fragen?

 Darstellung einer Amputation aus Wilhelm Fabrys Werk „De gangraena et sphacelo Oppenheim“.

Darstellung einer Amputation aus Wilhelm Fabrys Werk „De gangraena et sphacelo Oppenheim“.

Foto: Küst

Abend Ich würde ihn fragen, wie er es geschafft hat, neben der Arbeit als Wundarzt seine Erkenntnisse und Beobachtungen so umfassend zu verschriftlichen und mit Ärzten in ganz Europa intensive Briefwechsel zu führen. Auch hat er neue bzw. modifizierte medizinische Bestecke entwickelt und selbst angefertigt. Last but not least verfasste er als reformierter Christ auch noch erstaunlich viele Gedichte. Das alles ist schon sehr beeindruckend und ermöglicht viele Einblicke in sein Denken und seine Lebenswelt.

Was fasziniert Sie besonders am berühmtesten Sohn Hildens?

 Die Büste Wilhelm Fabrys am alten Markt.

Die Büste Wilhelm Fabrys am alten Markt.

Foto: Tobias Dupke

Abend Vor allem seine unersättliche Neugierde, die Leidenschaft für seinen Beruf, der vielmehr eine Berufung war und sein Antrieb, ein Leben lang zu lernen. Ebenso die Weitsicht, sein Wissen zu teilen und andere auszubilden. Vor allem aber hat er den Menschen ganzheitlich betrachtet und untersucht. In seiner Ehefrau Marie Colinet, einer ausgebildeten Hebamme, sah er auch eine gleichberechtigte Kollegin, mit der er gemeinsam praktizierte.

Haben Sie sich noch einmal verstärkt mit seinem Werdegang beschäftigt, nachdem Sie die Leitung des Museums übernommen haben?

 Sandra Abend leitet das Wilhelm-Fabry-Museum.

Sandra Abend leitet das Wilhelm-Fabry-Museum.

Foto: Zelger, Thomas

Abend Oh ja, ich habe im Museum ganze Regalreihen an Literatur durchgearbeitet, zugegebenermaßen musste ich mich primär auf die Sekundärliteratur wie beispielsweise die Fabry-Studien von Wolfgang Wennig konzentrieren. Er war in den 1960er- und 1970er-Jahren Stadtarchivar in Hilden. Es ist zugleich eine sprachliche Zeitreise. In dem Buch „Spiegel des menschlichen Lebens“, bearbeitet von Ernst Huckenbeck, habe ich Fabry noch einmal neu als privaten Menschen kennengelernt. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu entdecken und zu erkunden, es bleibt also spannend.

Haben Sie dabei etwas Neues über ihn erfahren?

Abend Zusammengefasst ist es vielleicht die Erkenntnis, was für ein weltoffener und toleranter, aber auch pragmatischer Mensch Fabry war.

Wie kann Fabrys Ruhm in heutige Relationen gesetzt werden?

Abend Sein schriftlich festgehaltenes Wissen ist in die Medizingeschichte eingegangen, aber natürlich ist Fabry einer von vielen Ärzten, die Geschichte geschrieben haben. Ein Mensch, der lokal gehandelt hat, aber als Netzwerker global dachte.

War er ein Star?

Abend Sicher war er in dem was er tat ein sehr wirkungsmächtiger Ausnahmemensch, denn schließlich konsultierten ihn sogar Hofärzte. Der Briefwechsel zwischen Paulus Lentulus, dem Leibarzt der englischen Königin Elisabeth I., und Fabry umfasst insgesamt 22 Briefe, darunter mehrere über das Fasten.

Welche Bedeutung hat er für die moderne Medizin?

Abend Denkt man an die bahnbrechenden Erkenntnisse bei chirurgischen Eingriffen wie die Magnetextraktion in der Augenmedizin, die übrigens seine Frau Marie Colinet entwickelt hat, so fließen diese Erfahrungen in die aktuelle Behandlung ein.

Was wissen wir heute über Fabrys Jugend in Hilden?

Abend Erstaunlich viel, wenn man bedenkt, dass die Ereignisse über 450 Jahre zurückliegen. Sein Vater Peter Drees war Geschichtsschreiber, er wollte seinem Sohn eine gute Bildung zukommen lassen, daher schickte er ihn auf ein Kölner Gymnasium. Seine Mutter, Margarethe auf dem Sand, war in zweiter Ehe verheiratet. Fabry kam im Gut in der Schmitten zur Welt. Sein selbstgewählter Nachname leitet sich von dem elterlichen Gut, einer Schmiede ab. Er übersetzte das Wort ins Lateinische, die Sprache der Gelehrten, also „Fabricius“. Überhaupt ist sein Lebenslauf gut dokumentiert. Einen ersten Einstieg bietet beispielsweise die Fabry-Broschüre von Ulrike Schmidt oder die Publikation von Eike Pies.

Wie hat er wo gelebt?

Abend Das kann ich an dieser Stelle nur in groben Zügen berichten, da Fabry im Wortsinne ein sehr bewegtes Leben hatte, das für die damalige Zeit sicherlich außergewöhnlich war. Das Baderhandwerk hat er in Neuss und Düsseldorf erlernt. Danach ging er in die Schweiz, wo einige Koryphäen auf dem Gebiet der Medizin arbeiteten, wie etwa in Genf der bedeutende Chirurg Jean Griffon. Dort lernte er auch Marie Colinet kennen. Seine beruflichen Wege führten ihn ebenfalls nach Payerne, Lausanne und Köln. Die letzten 19 Jahre seines Lebens arbeitete er als Stadtchirurg in Bern.

Seine Frau Marie Colinet scheint gleichberechtigte Partnerin in der Beziehung gewesen zu sein. War das damals die Regel?

Abend Eher die Ausnahme, wenn man überlegt, dass sich noch bis ins 20. Jahrhundert hinein die deutschen Medizin-Fakultäten weigerten, Frauen zuzulassen. Also absolvierten die ersten deutschen Ärztinnen ihr Studium in der Schweiz. Zwar gehört die Tätigkeit der Hebamme zu den ältesten Frauenberufen der Welt, wofür es bereits Belege aus dem Alten Ägypten gibt. Allerdings wurde dieser wichtige und anerkannte Beruf ab dem 15. Jahrhundert auch mit der Hexenlehre in Verbindung gebracht.

1589 kehrte Fabry nach Hilden zurück und eröffnete hier eine Praxis – wie müssen wir uns diese Praxis vorstellen?

Abend Hilden war in dieser Zeit noch ein Dorf mit circa 550 Einwohnern. Das heißt, er wird viel mit seinem Pferd unterwegs gewesen sein, um von Hof zu Hof zu ziehen. Seine Praxis können wir uns sicherlich als eine typische Baderstube vorstellen. Immerhin wissen wir durch seine Zeichnungen, wie seine Werkzeuge aussahen. Die Familie hält es nur vier Jahre in Hilden, dann zieht sie nach Köln, sicherlich auch, weil dort anspruchsvollere Aufgaben auf Fabry warteten.

Wie hat er behandelt?

Abend Das Spektrum der Behandlung war breit gefächert, ob Augenmedizin, Zahnheilkunde oder chirurgische Eingriffe, er hat als Wundarzt sogar die Arzneimittel selbst zusammengestellt. Aus seinem Briefwechsel geht die Vielseitigkeit seiner ärztlichen Praxis hervor. Fabry führte Starstiche durch, Blasenstein- und Bruchoperationen, er versorgte Knochenfrakturen, extrahierte Zähne oder renkte Gelenke ein. Er behandelte entzündliche, brandige Vorgänge sowie Schusswunden und vieles mehr.

Wie wurde er bezahlt?

Abend Er hat arme Bürger, reiche Patrizier und Adlige behandelt. Er machte zwischen armen und zahlungskräftigen Patienten keinen Unterschied, so wird das Salär wohl sehr verschieden ausgefallen sein.

Wann war Fabry wahrscheinlich das letzte Mal in Hilden?

Abend 1611 reiste Fabry noch einmal in seine bergische Heimat, um seine im Sterben liegende Mutter zu pflegen, die am 26. April 1612 starb. Fabry wird 1615 Stadtarzt in Bern, dort geht er zwei Jahre später in die Schmiedezunft, um seine eigenen Instrumente zu entwickeln oder zu optimierten. Er publiziert unglaublich viel, ist oft auf Reisen und verfasst sein Testament, in dem er seinen Sohn Johannes und seiner Frau als Erben einsetzt.

Wo finden wir Fabry heute noch?

Abend In Hilden stoßen wir häufig auf den Wundarzt. Am prominentester Stelle natürlich auf dem Marktplatz, da wo sein Denkmal steht, das ebenfalls eine „bewegte“ Geschichte hat. Dann wurde die Fabriciusstraße nach ihm benannt, und als Ehrenauszeichnung gibt es den Fabricius-Teller. In Bern existiert übrigens eine Hildanusstraße. Was aber viel wichtiger ist, ist die Tatsache, dass sein Erbe im Museum erfahrbar gemacht wird und seine Originalschriften sogar in der Nationalbibliothek Paris oder der Universitätsbibliothek Düsseldorf digital abrufbar sind.

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