Bekannte Künstler unterstützten die Aktion Erinnerungen an die „Freie Erde“

Hilden Erkrath · 1921 versuchte eine Gruppe von Anarchisten ihren Traum von einer antikapitalistischen Welt zu verwirklichen.

Hilden: Erinnerungen an Anarchisten-Gruppe „Freie Erde“
Foto: Josefine Müller/privat/Josefine Müller

Mehr Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und eine Abkehr vom Militarismus. Das sind zentrale Thesen von Gustav Landauer. Er forderte die Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse und eine Auflösung des Eigentums von Grund und Boden. Klingt radikal, war es auch. „Anarcho-Syndikalismus“ nannte man diese Strömung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg einer wachsenden Anhängerschaft erfreute. Auch hier gab es viele Sympathisanten.

Der Zusammenschluss aller Syndikalisten zählte um 1920 im Großraum Düsseldorf bis zu 18.000 Anhänger. Eine Gruppe einfacher Düsseldorfer Arbeiter, ihre Familien und Freunde, nahmen die Thesen von Landauer jedenfalls wortwörtlich – und besetzten 1921 ein kleines Stück scheinbar unfruchtbares Ödland, um dort ihre Vorstellung von Leben umzusetzen.

Die „Hildener Banden“ lagen in unmittelbarer Nähe des heutigen Unterbacher Sees. Nach Gustav Pieper (1882) wurden „Wiesen, welche eingebannt, das heißt von Wald oder von Buschwerk eingeschlossen waren“, „Banden“ oder „Bend“ genannt.“ In Haan gibt es noch heute die Straße „Am Bandenfeld“, in Hilden „Am Banden“, in Solingen die Bandesmühle. Gaby und Peter Schulenberg haben für die Festschrift „60 Jahre Unterbacher See“ die Geschehnisse von damals zusammengefasst. Den Namen „Freie Erde“ hatte Waldemar Kutschke ersonnen, einer der führenden Landbesetzer. Sie bauten zunächst eine Rasenhütte, legten einen Garten an und verkauften Fotos an neugierige Besucher. Waldemar Kutschke arbeitete im Reisholzer Press- und Walzwerk und war einer der wenigen aus der Gruppe, die einer Arbeit nachgingen. Die Besetzer scheuten sich nicht, in Zeitungsannoncen um Geld- und Sachspenden zu bitten. Bekannte Künstler wie Gustav Gründgens, das Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses oder Gerd Wollheim (Junges Rheinland) unterstützten die wilden Siedler. Die „Freie Erde“ wurde zum Ausflugsziel tausender Familien, neugieriger Sympathisanten und Treffpunkt der Anarcho-Syndikalisten der gesamten rheinisch-bergischen Region. Die Eigentümer, Großgrundbesitzer Richartz und die staatliche Forstverwaltung, verlangten die Räumung durch die Polizei. Da sich die Behörden nicht über eine Zuständigkeit einigen konnten – das Stück Land lag auf der Grenze von Düsseldorf, Hilden und Erkrath – blieben die Siedler weitgehend unbehelligt. Ab Herbst 1921 wurde die „Freie Erde“ zunächst amtlich geduldet. 1922 gründeten die Bewohner einen Verein (Produktive Genossenschaft Freie Erde) und unterschrieben (dank guter Beziehung zu einem hohen Regierungsbeamten) einen Pachtvertrag auf 99 Jahre. Dann kam es zu Streitigkeiten innerhalb der Gruppe. Kein Wunder: Alle Siedler (20 bis 25 Personen) wohnten in einem einzigen Haus. Gestritten wurde über anarchistische Ideale und Lebensweisen, über „freie Liebe“, über „Partnerwechsel“ oder „Nudismus“. 1923 gingen die Gründer auseinander. Nur das Ehepaar Anna und Waldemar Kutschke blieb mit seinen drei Kindern auf der „Freien Erde“ wohnen. Die Nationalsozialisten ließen sie unbehelligt. Die „Freie Erde“ war einfach zu abgelegen.Waldemar und Anne Kutschke gaben Juden Asyl, sie blieben bis zum Kriegsende unentdeckt. Anna Kutschke starb 1968, ihr Mann zwei Jahre später, Tochter Josefine zog in die heutige Siedlung Freiheit in Vennhausen.

Es gab zuvor noch einmal einen kurzen Moment, in dem der freie Geist Einzug hielt: 1969 wurde in dem Haus der antiautoritäre Kindergarten „Kinder des Olymps“ eröffnet, aber dieses Experiment hielt sich nur ein Jahr lang. Den Augenblick des Abrisses 1972 beschrieb Josefine Müller wie folgt: „Der Bagger hat ein Loch ausgehoben, worin das Haus beerdigt wurde.“ Nur der Kamin wollte einfach nicht fallen. Die „Freie Erde“ blieb eben unbeugsam – bis zum Schluss.

Eine weit ausführlichere Aufarbeitung des anarchistischen Wohnbauprojekts wurde 1998 im Rahmen einer Ausstellung im Bahnhof Eller geboten. Georg Beck hat sich diesem Kapitel der Zeitgeschichte angenommen und in einem Katalog seine Recherchen zusammengetragen. Eine große Hilfe waren ihm neben dem Schriftverkehr die Aufzeichnungen von Josefine Müller, der Tochter von Waldemar Kutschke.

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