Hilden Erholung für Leib und Seele

Hilden · Ferien der besonderen Art: Unser Autor ist in Corona-Zeiten von Hilden über die Steiermark nach Wien gepilgert und hat dabei zahlreiche Klöster und Kirchen gesucht. Dabei ist er mit vielen sehr unterschiedlichen Menschen ins Gespräch gekommen.

 Barock vom Feinsten: Das Stift Admont in der Steiermark besitzt die größte Klosterbibliothek der Welt.

Barock vom Feinsten: Das Stift Admont in der Steiermark besitzt die größte Klosterbibliothek der Welt.

Foto: dpa-tmn/Österreich Werbung/Trumler

„Wien hat sich in den letzten Monaten stark verändert“, murrt Monika – die Besitzerin des gleichnamigen Cafes im multinationalen Wiener Birgittaviertel – ohne dabei jedoch ihr keckes Lächeln in Gänze zu verlieren. Ob sie und andere Gastronomen um die Ecke es in den kommenden Monaten über die Runden schaffen werden, könne sie nicht sagen, aber sie mache nun einfach das Beste aus der Situation. Der Cappuccino und die selbstgemachte Erdbeerschnitte der gelernten und aus Rumänien stammenden Konditorin lassen daran jedenfalls keinen Zweifel aufkommen.

Aber von vorne. Da flatterte Anfang Juni ein Flyer in den Briefkasten der Schwanenstraße: „Grüß Gott aus Oberschönenfeld. Wie wäre es mit einem angenehmen Aufenthalt in unserer Abtei und gute Erholung an Leib und Seele?“ Vier Wochen, etliche Corona-Hotspots und angsteinflößende Reisewarnungen später bestaune ich im Klostergarten Sankt Maria der Zisterzienserinnenabtei Oberschönenfeld den Thymian, die Ringelblume und nicht zu vergessen: Die Ruhe. Letztere ist eine treue Begleiterin hinter den Mauern der rund 800 Jahre alten Anlage, zu der – neben dem Garten und der Abteikirche – unter anderem auch eine eigene Klosterbäckerei, ein Volkskundemuseum und das bei Wanderern sehr beliebte Klosterstüble gehören. Für den nötigen Infektionsschutz innerhalb des Gästetraktes sorgen die Schwestern, allen voran Schwester Emanuela. „Die Pilger sollen sich auf sich selbst besinnen können, jede unnötige Komplikation stört da nur“, sinniert sie und zeigt Sekunden später mit ihrer Gehhilfe auf die Tür am anderen Ende des Flurs: „Da hinten ist ihr eigenes Badezimmer. Ihr Name steht an der Tür. Und wenn sie einfach nur Lust zu reden haben, kommen sie zu mir.“

Der sakrale Geist in den Gängen und die unerwartet liebevolle Umsorgung entmutigen mich nach einem WLAN zu fragen, das es hier sowieso nicht gibt. Nur ein Telefon in der Nähe des Zimmers 107 und das Fernsehzimmer 99 stehen informationstechnikaffinen Menschen zur Verfügung. Und das ist in Ordnung, möchte man etwas anderes in diesen befremdlich dynamischen Zeiten finden, als die nächste Push-Nachricht eines neuen Weltuntergangszenarios.

 Autor Jörg Klemz im Gespräch mit Monika,  Besitzerin des gleichnamigen Cafes im multinationalen Wiener Birgittaviertel.

Autor Jörg Klemz im Gespräch mit Monika,  Besitzerin des gleichnamigen Cafes im multinationalen Wiener Birgittaviertel.

Foto: Jörg Klemz

Genau das jedoch erlebe ich einige hundert Kilometer südöstlich weiter im monastischen Zentrum der Steiermark, wahrscheinlich sogar „des gesamten süddeutsch-österreichischen Raumes“: In Admont. Ein heftiges Gewitter und Platzregen lassen die beiden neugotischen Türme der Admonter Stiftskirche in Nebelschwaden versinken und die sonst so friedlich daher fließende Enns zu einem äußerst bedrohlichen und wilden Fluss anschwellen.

Während sich draußen die Naturgewalten austoben, hetzt Frater Alexander Weiss durch die elegant marmorierten Trakte der im 12. Jahrhundert gegründeten Schreibschule, entschuldigt sich für seine so gar nicht brüderliche Robe aus T-Shirt und Trainingsanzughose und erklärt mir auf dem Weg zum Gästezimmer den modernen Magnetsicherheitsschlüssel, mit dem man – je nach Zugangsberechtigung – in diesen oder jenen Innenbereich des Benediktinerstifts gelangen könne.

Er hätte es lieber ein bisschen offener, druckst er herum, aber die Geistlichen bräuchten ihre Ruhe unbedingt. Tatsächlich findet hier im Stift eine klare und strenge Trennung zwischen Klausur und Gastbereich statt, Magnetsicherheitsschlösser zwischen zwei Welten unter einem Dach, Dialog Fehlanzeige.

Den finde ich ein paar Minuten später zusammen mit Kerstin Rappl. Sie arbeite seit etwas mehr als zwei Jahren im Küchenbereich des Klosters, führe ab und zu den ein oder anderen Gast nach Feierabend gerne durch die Katakomben der Stiftsküche und plaudere dabei – ebenso gerne – manchmal aus dem Nähkästchen, natürlich aber nur aus dem kulinarischen Nähkästchen der Mönche und des derzeitigen Abtes Gerhard Hafner, behauptet sie schüchtern und stolz zugleich. Ihre Kolleginnen und sie seien spürbar von der Coronakrise betroffen, „schon um fünf Uhr gibt es Abendessen für alle, um sechs Uhr muss ich hier raus sein, das Kloster ist eben auch ein Wirtschaftsunternehmen“, ruft sie mir noch zu und verschwindet dann wieder hinter den etlichen Edelstahltöpfen, viele davon heute gar nicht gebraucht.

Monika, die rumänische Konditorin, jongliert noch immer entschlossen und leichtfüßig durch die Tischreihen ihrer mittlerweile voll besetzten kleinen Terrasse, von der aus man einen unverhohlenen Blick auf die gegenüberliegende Birgittakirche hat. Dank Internetzugang lässt sich schnell recherchieren, dass die heilige Birgitta „während ihrer Pilgerreise ins Heilige Land im Jahr 1372 […] im Traum die Geburt Jesu erlebte“.

Auf meiner kleinen Pilgerreise habe ich keine vergleichbare Vision erfahren. Dafür nehme ich die Begegnungen mit Menschen wie Schwester Emanuela, Kerstin Rappl, Bruder Alexander oder Monika als eine Art Trophäe mit zu mir nach Hause in die Schwanenstraße und denke darüber nach, wie sie mich verändert haben.    

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