Hilden Eltern und Geschwister brauchen Hilfe

Hilden · Sonntag ist "Weltgedenktag für verstorbene Kinder". In Hilden gibt es die Selbsthilfegruppe "Sternschnuppenkinder".

Hilden: Eltern und Geschwister brauchen Hilfe
Foto: privat

Es ist Herbst 2006, als Anja immer mehr über Schmerzen in der Hüfte klagt. Nach einer monatelangen Tour zu verschiedenen Fachärzten und weiteren Untersuchungen wird die 14-Jährige schließlich an die Uniklinik-Düsseldorf überwiesen. Dort macht kurz vor Weihnachten ein Oberarzt der Onkologie der Mutter die erschütternde Mitteilung: "Ihr Kind ist leider dasjenige auf unserer Station, das am schlimmsten erkrankt ist." Anja hat Knochenkrebs. Schon jetzt braucht sie starke Schmerzmittel. Ihren 15. Geburtstag wird sie trotz sechs Chemotherapien nicht mehr erleben. Im Gespräch mit ihrer Mutter, Ute Schütz (Namen der Familie geändert), wird klar, wie sehr nicht nur die verwaisten Elter, n sondern auch die Geschwister sterbenskranker Kinder leiden.

Seit 13 Jahren begleitet Christa Cholewinski, Leiterin des Kinderschutzbundes in Hilden, die "Sternschnuppenkinder", eine Selbsthilfegruppe von Eltern sterbenskranker Kinder. Zusätzlich kümmert sie sich in Einzelgesprächen auch um die Geschwister. "Ich kam im Sommer 2007 zur Familie Schütz. Anja lag in ihrem Pflegebett im Wohnzimmer." Es sei selten, dass sie die Kinder noch lebend sehe und sie habe Angst vor deren Fragen: "Wer bist du und was machst du hier?" Sie antwortet dann: "Ich gucke mal, wo ich euch helfen kann." Anjas zwei Jahre ältere Schwester Nicole stand damals im Abseits — auf der Terrasse. Sie war der Situation ausgeliefert, konnte weder helfen noch fliehen.

Als ausgebildete Trauerbegleiterin weiß Cholewinski um die Nöte von Geschwisterkindern: "Sie laufen in den betroffenen Familien nebenher, weil sich alles um das kranke Kind dreht. Dabei machen sie sich selbst Sorgen, sind auch verletzt und oft wütend." Häufig würden sie in der Schule auffällig. Sogar Opfer ihrer Trauer, wenn Lehrer und Mitschüler ihr Verhalten nicht richtig einschätzen könnten.

Die Familie Schütz hat sich nach mehr als sechs Jahren, die seit Anjas Tod vergangen sind, völlig neu orientieren müssen. Cholewinski: "Das ist wie bei einem Mobile, an dem ein Teil abgeschnitten wurde." Für Ute Schütz war der Austausch mit anderen verwaisten Eltern hilfreich. Sie hatte das Glück, einen verständnisvollen Arbeitgeber zu haben, der sie damals unbefristet frei stellte. Sie musste aber monatelang ertragen, wie ihre Tochter immer schwächer wurde, die letzte Chemotherapie nicht mehr vertrug und meinte: "Ich habe kein Leben mehr." Anja wollte nur noch nach Hause. Mit Hilfe des Palliativ-Teams der Uniklinik konnte ihr Wunsch erfüllt werden. "Die medizinische Versorgung war rund um die Uhr gesichert, auch als sie am 6. August 2007 in Würde ihren letzten Atemzug tat." Nach mehr als zwei Jahren sei sie selbst dann langsam wieder im Leben angekommen, sagt die Mutter heute. Tochter Nicole, der damals die Schule völlig gleichgültig geworden war, hätte einen erstaunlichen Reifungsprozess erlebt. "Sie ist inzwischen selbstständige Physiotherapeutin."

Anjas Tod hat eine Riesenlücke in die Familie gerissen. Sie ist aber kein Tabu-Thema. "Ihr Geburts- und Todestag wird nie vergessen und wir bewahren so viele Erinnerungen an sie." Während sich Eltern nach dem Tode eines Kindes im absoluten Ausnahmezustand befinden, haben Geschwisterkinder immer noch Hoffnung auf die eigene Zukunft.

(chm)
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