Friedhelm Topp "Ehrenrunde" - eine Chance für Schüler

Hilden · Mitte April verschicken die Schulen wieder Blaue Briefe. Eltern sollten nicht mit Vorwürfen reagieren, rät ein Psychologe.

 Der Psychologe Friedhelm Topp rät Eltern dazu, gelassen auf Blaue Briefe zu reagieren.

Der Psychologe Friedhelm Topp rät Eltern dazu, gelassen auf Blaue Briefe zu reagieren.

Foto: ola

Herr Topp, haben Sie besonders viel zu tun, wenn die Schulen Blaue Briefe versenden?

Topp Nein, das kann man so nicht sagen. Es tauchen immer wieder mal Eltern bei der Zeugnisvergabe auf, aber das hält sich in Grenzen.

Blaue Briefe werden versandt, wenn die Versetzung in Gefahr ist. Wie viele Eltern werden davon überrascht?

Topp Das ist eigentlich die Ausnahme, dass Eltern völlig unvorbereitet sind. Das liegt daran, dass die Schulen bereits im Vorfeld den Austausch mit den Eltern suchen. Die Mehrheit der Eltern, die unsere Hilfe suchen, haben sich schon zuvor mit dem Thema auseinandergesetzt.

Aber der Blaue Brief macht das Problem amtlich. Wie sollten Eltern reagieren, wenn er auf dem Tisch liegt?

Topp Der beste und direkteste Weg ist der, bei den Lehrern Rücksprache zu halten, was im Verlauf des Schuljahrs gefehlt hat. Und sie sollten sich Gedanken darüber machen, was durch das zusätzliche Jahr für das Kind anders werden soll. Die Nicht-Versetzung sollte man mit Sinn füllen und überlegen, wofür das Kind mehr Zeit braucht.

Das klingt sehr rational. Löst ein Blauer Brief nicht zuerst einmal Sorge und Schrecken aus?

Topp Ja, das kann natürlich sein. Dann aber sollten Eltern Abwertungen oder Negativkritik wie "Da hast Du den Salat" tunlichst vermeiden. Es stellt immer das Selbstwertgefühl in Frage, wenn das Kind nicht versetzt wird. Kinder müssen den Sinn der "Ehrenrunde" als Herausforderung und Chance verstehen, um davon zu profitieren. Eltern sollten daher erst mal das Kind dafür anerkennen, was es geleistet hat, und sich dann sagen, es hat halt nicht ganz gereicht.

Also Nachsicht statt Stubenarrest?

Topp Ja, es macht keinen Sinn, dem Kind eine Strafliste vorzulegen.

Wer braucht nach einem Blauen Brief mehr Zuwendung, mehr Anleitung — die Eltern, die enttäuscht oder in Sorge sind, oder die Kinder?

Topp Eltern haben natürlich Zielvorstellungen für ihre Kinder und reagieren impulsiv. Aber aus meiner Sicht als Kinder- und Jugendpsychologe sage ich ganz klar: die Kinder. Ihnen muss Zutrauen entgegengebracht werden, weil sie nun etwas nachholen müssen, was sie zuvor nicht ganz geschafft haben.

In welcher Phase sind Blaue Briefe häufiger: in der Grund- oder in der weiterführenden Schule?

Topp Blaue Briefe sind in Grundschulen seltener.

Der Druck hat sich an den weiterführenden Schulen und insbesondere am Gymnasium durch die Einführung von G 8 verstärkt. Ist damit nicht auch der Druck auf Schüler und Eltern gewachsen, wenn das Ziel des früheren Schulabschlusses durch eine Ehrenrunde durchkreuzt wird?

Topp Ja, das ist aus Sicht vieler Eltern tatsächlich ein Problem, dass sie Angst haben, dass ihr Kind den Anschluss verliert oder einen Nachteil erfahren könnte. Aber Kinder und Jugendliche entwickeln im Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II oft auch ihre eigenen Vorstellungen. Die Eltern müssen dann akzeptieren, dass damit schmerzhafte Entscheidungen verbunden sind, weil das Kind andere Vorstellungen davon hat, was für sein Leben wichtig ist.

Sie meinen, dass Kinder und Jugendliche nötigenfalls auch die Schule wechseln müssen, beispielsweise vom Gymnasium auf eine Real- oder Gesamtschule?

Topp Ja, für die Eltern ist das ein schmerzhafter Prozess, aber er gehört dazu, wenn die Kinder ihren eigenen Weg finden sollen.

Wie kann man die Kinder dabei unterstützen?

Topp Es lohnt sich, in der Schule genau nachzufragen, wo die Potenziale der Schüler liegen. Auch Gymnasien haben Förderpläne, die man in Anspruch nehmen kann.

Gehört Nachhilfe dazu?

Topp Das kann eine von vielen Lösungen sein. Die Lehrer haben sehr gute Vorstellungen davon, was in ihrem Fach nötig ist, und die Lösungsansätze müssen zu dem System passen, wie die Schule vorgeht. Also sollten alle Fördermaßnahmen in Absprache mit der Schule laufen.

Was können die Eltern leisten?

Topp Sie sollten das Selbstbewusstsein ihrer Kinder stärken und sie motivieren. Für gute Noten sorgt zu mehr als 50 Prozent die Motivation.

Was sind aus Ihrer Sicht eigentlich die Gründe, die zu Blauen Briefen führen?

Topp Schulisches Lernen verlangt viel Disziplin, aber sie muss auch in einem Ausgleich stehen zu dem, was Spaß macht und was gut gelingt. Wenn ein Blauer Brief kommt, ist diese Kette schon lange unterbrochen. Und wer einmal größere Wissenslücken hat, der braucht einen systematischen Förderplan, der über mehrere Wochen geht. Der erste Schritt aber muss ein realistisches Lernziel sein, bei dem es gelingt, schon bald wieder erste Erfolge zu erzielen. Nur so kann der Kreislauf aus Misserfolg und Frustration durchbrochen werden.

ALEXANDRA RÜTTGEN STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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