Educon-Prozess in Düsseldorf Gruppenleiterin rechtfertigt Misshandlungen als Therapie

Düsseldorf · Im Prozess um Misshandlungen in der Hildener Kinder- und Jugendeinrichtung Educon hat sich die 43-jährige Hauptangeklagte vor Gericht auf eine umstrittene Therapieform berufen. Mehrere autistische Kinder sollen gedemütigt und verletzt worden sein.

 Im Prozess um Misshandlungen in der Kinder- und Jugendeinrichtung Educon sagte jetzt die Angeklagte aus.

Im Prozess um Misshandlungen in der Kinder- und Jugendeinrichtung Educon sagte jetzt die Angeklagte aus.

Foto: Wulf Kannegießer

Mit einer ersten Aussage der Ex-Gruppenleiterin der Wohngruppen "Räuberhöhle" und "Lernfenster" hat das Düsseldorfer Landgericht am Donnerstag den Prozess um massive Misshandlungen in der früheren Hildener Kinder- und Jugendeinrichtung Educon fortgesetzt. Der Gruppenleiterin und vier Ex-Mitarbeitern wird angelastet, von Mitte 2006 bis Mitte 2008 mehrere damals neun bis 15 Jahre alte, teils schwerbehinderte Kinder in einer Vielzahl von Fällen misshandelt haben. Die Educon, eine Einrichtung der Graf-Recke-Stiftung, wurde inzwischen aufgelöst und in die Stiftung integriert.

Kinder sollen in den beiden Einrichtungen stundenlang fixiert worden sein. Therapeuten sollen sich auf sie gelegt haben. Tagelang sei Kindern Essen verweigert worden, sie hätten Unkraut essen müssen. Handtücher seien so fest um ihre Köpfe gewickelt worden, dass die Kinder kaum noch Luft bekamen und in Panik gerieten. Die rabiate Praxis wurde auf über 200 Stunden Videomaterial dokumentiert.

Denn: Was in der Anklage nach einem monströsen Folterprotokoll klingt, war nach Darstellung der Hauptangeklagten das Ergebnis aus Überforderung der damaligen Erzieher und einer völlig unreflektierten Umsetzung einer inzwischen umstrittenen Therapieform.

Mehrfach berief sich die 43-jährige Angeklagte auf den Mitbegründer einer sogenannten Körper-Interaktions-Therapie als eine Art Mentor. Der angebliche Fachmann für Verhaltenstherapie habe die Arbeit in der jetzt aufgelösten Educon-Einrichtung begleitet, habe Videos davon ausgewertet und die weitere Entwicklung beeinflusst. Am Beispiel eines extrem aggressiven Mädchens beschrieb die Angeklagte, dass man seitens der Einrichtung und der Betreuer alles getan habe, um dem Kind zu helfen. "Es war ein ganz besonderes Mädchen und hatte wirklich gute Sachen in sich", sagte die Angeklagte.

So sei die Idee entstanden, mit dem Kind zum Einkaufen zu gehen, was das Mädchen sich angeblich sehr wünschte, was aber stets dazu geführt habe, dass das Kind unvermittelt fremde Menschen attackierte. Diesen Zwiespalt hätten Betreuer auflösen wollen, indem man das Mädchen teils im Polizeigriff durch Geschäfte führte. Als das Kind in der Einrichtung dann aber anfing, andere Kinder vom Stuhl zu treten, habe der Therapie-Experte geraten: "Ihr müsst den Spieß umdrehen!"

Also sei die später so genannte "Teppich-Runde" entstanden, bei der ein Kind auf einem Stuhl von Betreuern umgetreten wurde, sich samt Stuhl aber gleich wieder in Position bringen musste, bevor die demütigende Prozedur von vorne anfing und laut Anklage stundenlang bis zur völligen Erschöpfung der Kinder wiederholt wurde. Dem Mädchen sollte angeblich klar gemacht werden, "dass sie das auch mit anderen Kindern nicht machen kann", sagte die Angeklagte, die von einem "Riesenerfolg" sprach. Denn das Mädchen sei danach "lange Zeit aggressionsfrei" gewesen, habe an alltäglichen Abläufen wieder teilnehmen können. "Das war unser Ziel", sagte die Angeklagte.

Der angebliche Mentor habe gar gejubelt: "Das ist eine Revolution in der Behindertenhilfe!" Doch nach "neuen Erkenntnissen aus der Therapie" sagte die Angeklagte jetzt auch: "Ich hätte in meiner Funktion als Leitung diese Dinge nicht umsetzen dürfen." Die Staatsanwaltschaft wertet die seit 2006 — angeblich auf Anraten des Therapie-Experten — per Video dokumentierten Vorfälle als systematische Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen und als massive Misshandlungen von Schutzbefohlenen.

Nach dem bisherigen Prozessplan soll der am Donnerstag vielfach zitierte Therapie-Experte in der nächsten Woche als Zeuge aufgerufen und befragt werden.

(wuk/dpa)
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