Hilden Das Ende der Lederindustrie

Hilden · Mehr als 100 Jahre lang wurde in der Fabrik Jüntgen – mitten in der Hildener Innenstadt – Leder gegerbt. Das Aus für den einst profitablen Industriezweig kam Anfang der 80er Jahre, als die Fertigung zu teuer wurde – und das Gelände den Stadtplanern ideal für eine Bebauung schien.

Zum 80. Geburtstag von Max Jüntgen am 20. April 1958 erscheint in der "Hildener Zeitung" ein Artikel, der die Verdienste des Hildener Unternehmers in den höchsten Tönen würdigt. Das Bild dazu zeigt einen prototypischen Unternehmer der Wirtschaftswunderzeit, mit hellem Anzug, Einstecktuch und dicker Zigarre zwischen den Fingern.

Liebstes Hobby: die Jagd. Nicht einmal 20 Jahre später hadert die Stadt mit den baulichen Überbleibseln der Fabrik, in der insgesamt über 100 Jahre lang Leder gegerbt wurde. Riemen und technische Leder für die Industrie, Blankleder, bei dem der Gerbungsprozess mitunter vier Monate dauern kann und das für Sättel, Taschen oder Ranzen gebraucht wird, sowie Vacheleder (siehe Info).

20 Jahre später war nur noch von einem "Trümmergrundstück" an der Mühlenstraße, mithin im Herzen der Stadt, die Rede. Helle Empörung löste der Verfall der Fabrikgebäude aus, der immer rapider voranschritt, nachdem die Produktion mangels Nachfrage eingestellt worden war. Zu aufwändig, zu teuer war die Fertigung geworden. Das zentral gelegene Grundstück schien den Stadtplanern geradezu ideal für eine moderne, städtische Wohnsiedlung. Fabriken sollten mehr und mehr aus den Städten verschwinden und in Randgebiete verlagert werden. Ratten gingen, wie es im August 1976 in dieser Zeitung hieß, auf dem verwaisten Grundstück "am helllichten Tag spazieren".

Doch die Empörung darüber allein genügte nicht, um das Schicksal der maroden Gebäude im Sinne der Stadt und wohl auch der meisten ihrer Bürger zu beeinflussen. Eigentümer war noch immer ein Jüntgen, Sohn Max, der die Geschicke des gleichsam in den letzten Zügen liegenden Unternehmens in dritter Generation lenkte. Im Frühjahr 1978 gab er sich, ebenfalls in dieser Zeitung, noch kämpferisch: "Ich lasse mir kein Diktat aufzwingen."

Doch wurde seine Verhandlungsposition zunehmend schlechter. Nachdem durch einen Brand im März 1980 der Dachstuhl eines der Gebäude auf dem Gelände zerstört worden war, wurde der Druck, die als Schandfleck empfundene Fläche neu zu gestalten, noch größer.

Die Fabrikruine sei "unansehnlich" und müsse "verschwinden" fordert die Lokalpresse, bis es am 5. August 1981 endlich soweit ist. Der 40 Meter hohe Schornstein wird von der Langenfelder Sprengmeisterin Elisabeth Schauf gesprengt und fällt "im Zeitlupentempo". Pressevertreter werden gemäß einem innerdienstlichen Vermerk gar nicht erst benachrichtigt – aus Sicherheitsgründen. Man befürchtet, sie würden nur noch mehr Schaulustige anziehen. Danach entstand an der Mühlenstraße die weitläufige Wohnanlage, wie sie noch heute vorzufinden ist. Und nicht, wie ursprünglich angedacht, ein Supermarkt. Die Erinnerung an die rotgeziegelte Fabrik aber ist damit getilgt.

(maxl)
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