Haan Raubopfer kämpft um Normalität

Menschen aus der Nachbarschaft haben dem überfallenen Rentner geholfen. Von Offiziellen hörte er nur Bedauern.

 Nachbar Jens Klass (rechts) und Carl Kaufhold  im Wohnzimmer. Hier hatte Kaufhold seine Bibliothek, die ein Raub der Flammen wurde.

Nachbar Jens Klass (rechts) und Carl Kaufhold  im Wohnzimmer. Hier hatte Kaufhold seine Bibliothek, die ein Raub der Flammen wurde.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Vor beinahe 16 Monaten standen sie schon mal gemeinsam in seinem Haus. Da hatte Carl Kaufhold gerade ein Martyrium hinter sich. Über die Details des brutalen Überfalls auf den Pensionär wurde vieles geschrieben. Gerade werden sie vor dem Wuppertaler Landgericht verhandelt, man wird also noch einiges darüber lesen können.

Und Jens Klass? Er war einer der Menschen, die sich kümmerten. Auch andere Nachbarn waren zum Haus im Hermann-Löns-Weg geeilt, nachdem sie gesehen hatten, dass es in Flammen stand. Im Garten lag Carl Kaufhold neben der Terrasse. Am Stuhl gefesselt, mit einem Socken im Mund geknebelt und nur mit einer Unterhose bekleidet. „Ich hatte nichts mehr“, erinnert sich der 84-Jährige an die schlimmsten Momente seines Lebens.

Jens Klass überlegte nicht lange: Er bat seinen Nachbarn zu sich ins Haus. Dort holte er Hose und Pullover aus dem Schrank. Carl Kaufhold, der noch in den Abendstunden von der Polizei als Zeuge vernommen worden war, legte sich irgendwann erschöpft ins Bett. „Er schlief tief und fest. Meine Frau und ich haben immer wieder die Türe einen Spalt aufgemacht, um zu schauen, ob er noch lebt“, erinnert sich Jens Klass. Die Sorge um das Seelenheil des 84-Jährigen habe ihn danach noch lange umgetrieben – und sie tut es noch immer.

Damals allerdings sei das Drama noch längst nicht zu Ende gewesen. Carl Kaufhold, ohne Dach über dem Kopf, brauchte eine Bleibe. Gemeinsam sei man in ein Haaner Hotel gegangen, um nach einem Zimmer zu fragen. Dort angekommen, sei man gleich schon in die Mühlen allzu bürokratischen Tuns geraten. Die Kreditkarten waren im Haus, vermutlich verbrannt. Ohne Kreditkarten kein Geld und ohne Geld kein Hotelzimmer. Und wieder war es der Nachbar, der aushalf. Er schob seine Bankkarte über den Tisch und Carl Kaufhold konnte endlich einchecken. Er tat es für viele Monate - bis er irgendwann in ein kleines Appartement umzog, in dem er noch immer wohnt.

Jens Klass würde am liebsten nicht so viel Aufhebens um die ganze Sache und vor allem auch um sich selbst machen. Das sei doch alles selbstverständlich gewesen, jeder hätte in einer solchen Situation so gehandelt. Carl Kaufhold hingegen schüttelt den Kopf. Er weiß nur zu gut, dass das nicht stimmt. Gegenüber wohne eine Bundestagsabgeordnete, die er seither nicht mehr gesehen habe. Die Bürgermeisterin, der Landrat: Alle hätten damals ihr Bedauern ausgedrückt – und das sei es dann auch schon gewesen. „Sie kommen, wenn irgendwo ein Sandkasten eingeweiht wird, um das rote Bändchen durchzuschneiden“, sagt Carl Kaufhold. Er gibt sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Dafür hat er zu viel erlebt. Er ist auf Ebenen angelangt, auf denen man über Oberflächlichkeiten nur müde lächeln kann und sagt dazu: „Ich fühle mich als Opfer, geholfen hat mir von denen niemand.“ Und dennoch: Er macht einfach weiter, dabei ist nichts mehr wirklich einfach in seinem Leben.

Vielleicht gibt es Menschen, die sich gleich am nächsten Tag auf der Suche nach Hilfe durchs Internet gewühlt hätten. Carl Kaufhold hat noch nicht mal einen Computer, im Keller hat seine Schreibmaschine den Brand überlebt. Einer Welt, in der Leute im Selfie-Wahn über ihre Mitmenschen stolpern, kann er nichts abgewinnen. Stattdessen vermisst er seine 4000 Bücher, die im Bibliothekszimmer gleich neben den Flügel standen. Traurig schaut er dort auf die leeren Wände und sagt: „Sie fehlen mir am meisten“. Und dann erfährt man auch, was ihn immer schon und auch diesmal wieder durch schwere Zeiten geholfen hat: Es waren die alten Philosophen und der Taoismus. Sie haben ihn gelehrt, als Beobachter auf die Dinge zu schauen – und gelassen das hinzunehmen, was ist.

Blättert er durch den Ordner mit den Versicherungsunterlagen, gelingt ihm das nicht immer. Er musste beinahe alles wegwerfen, an den Wänden klebt der giftige Ruß. Antike Holzbalken, der liebevoll geflieste Boden und die vielen kleinen Details in einem Haus, bei dessen Bau Carl Kaufhold dabei geholfen hat, den Zement zu mischen: Alles ist dahin. Seine Kinder sind dort aufgewachsen, sein Hund lief durch den Garten.

 Das Badezimmer - vom giftigen Rauch kontaminiert, wie auch alle anderen Zimmer

Das Badezimmer - vom giftigen Rauch kontaminiert, wie auch alle anderen Zimmer

Foto: Mikko Schümmelfeder

Und nun gibt es Sachbearbeiter bei der Versicherung, die ihm vorrechnen, dass das alles mit ein paar Tausend Euro wieder hinzubekommen sei. „Ich hatte Handwerker hier, die rückwärts wieder rausgegangen sind“, erinnert sich Carl Kaufhold. Das sei ein Millionenschaden, den wolle man nicht anpacken, erklärten die Fachleute. Dabei brauchen Menschen, die zu Opfern geworden sind, aller Ohnmacht zum Trotz wohl genau das: Leute, die Dinge anpacken - empathisch und über bürokratische Hürden hinweg.

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