Zweiter Weltkrieg Halifax-Bomber stürzt in Unterhaan ab

Am 1. November 1944 wird ein Flugzeug der Alliierten von deutschen Nachtjägern schwer getroffen und schlägt auf die Steinstraße.

 Bomber am Nachthimmel.

Bomber am Nachthimmel.

Foto: Archiv Manfred Kohl

„Liebe Joan, du weißt bereits, dass ich in einem Geschwader bin. Habe zwar noch nicht viel geflogen, aber wir haben heute drei Stunden in der Maschine Abläufe geübt. Ich denke, noch einige Flugstunden, dann werden wir endlich Operationen starten.“ Diese Zeilen stammen aus dem am 22. Oktober 1944 geschriebenen Brief des damals 22-jährigen Funkers Thomas E. im 426. Geschwader der Royal Air Force an seine Freundin. Nach den ersten Flügen hoffte der junge Mann auf Urlaub. „Aber im Oktober wird es wohl nichts mehr werden“, war der Soldat sicher. Am 1. November 1944 war eine der „Ops“, auf die der Funker gehofft hatte. Die  Maschine mit der Kennung NP 709 startete von Linton-on-Ouse zu einem Angriff auf eine Raffinerie in Oberhausen.

Es war gegen 20.45 Uhr an diesem Allerheiligen-Tag. Ein „Halifax“-Bomber taucht brennend am Himmel über Haan auf. Auf dem Rückflug von einem Bombenangriff im Ruhrgebiet zum Stützpunkt in North Yorkshire hatte die Maschine schwere Flaktreffer abbekommen und stürzte gegen 21 Uhr auf die Steinstraße in Unterhaan.

Der Pilot drehte mehrere Runden über dem Stadtgebiet, wahrscheinlich, um seinen Kameraden den Fallschirmabsprung zu ermöglichen. Über dem Ittertal brach ein zwei Meter langes Flügelstück ab, auf dem Karl-August-Jung-Platz schlug ein Triebwerk auf. Ein weiterer Motor ging südlich der Bahnlinie verloren und wurde in den 70er-Jahren bei Ausschachtungsarbeiten für ein neues Bett des Thienhausener Baches gefunden. Andere Kleinteile des Flugzeugs fanden sich nach dem Krieg auf Feldern der Bauern Reiffers und Ehrkamp.

Gegen 21 Uhr stürzte die Maschine auf die Steinstraße. Die rund 4000 Liter Kerosin für den Rückflug und die Munition für die neun Bordgeschütze sorgten für eine gewaltige Explosion. Die 4,3 Tonnen Bomben waren gegen 20.15 Uhr über Oberhausen abgeworfen worden. Im Moment des Aufpralls müssen sich noch drei Soldaten an Bord befunden haben.

Der Pilot saß bis zur Unkenntlichkeit verbrannt angeschnallt in seinem Sitz. Einen Toten fanden Anwohner auf dem Bürgersteig. Ein dritter soll brennend noch ein paar Schritte gelaufen sein, bevor er starb. Eine vierte Leiche wurde in einem nahen Wäldchen mit verbrannten Resten eines Fallschirms gefunden. Ein fünfter Soldat lag zerschmettert auf der alten Müllkippe an der Eisenbahnstraße.

Das alles hat Manfred Kohl bei aufwendigen Recherchen in weltweiten Militär-Archiven und in zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren. Werner Beeker berichtete Kohl von zwei aus Richtung Tenger kommenden jungen Leuten mit Lederjacken, Rollkragenpullovern und Stiefeln, die er und sein Vater kurz nach dem Absturz der Halifax gesehen haben.

Von der Steinkulle aus beobachteten die Haaner, wie SS-Leute, die damals in der Schlagbaumer Schule stationiert waren, die beiden Soldaten festnahmen. Werner Beeker kann sich noch erinnern, dass einer der SS-Leute sagte: „Die legen wir um!“ Der andere habe widersprochen. Einem der beiden jungen Männer scheint die Flucht gelungen zu sein. Im Gartengelände „Schacht“, etwa 1500 Meter entlang der Bahnstrecke in Richtung Ohligs gelegen, sollen ihn nach Aussage eines Zeitzeugen aus Solingen seine Häscher  „gestellt“ haben.

Zwei Tage nach dem Absturz wurden auf dem evangelischen Friedhof an der Alleestraße von Pastor Hess vier „identifizierte“ und zwei „unbekannte“ Insassen der Maschine bestattet. Als der Haaner Manfred Kohl von der Tatsache erfuhr, dass die Besatzung einer Halifax aus sieben Soldaten bestand, wurde er misstrauisch. In Gesprächen mit Zeitzeugen sammelte er viele Informationen, die sich Stück für Stück zu einem Bild zusammenfügten. Und hatte am Ende den Verdacht, dass ein junger Soldat, dem zunächst die Flucht gelungen war. Sein Schicksal ist unbekannt.

Nach einem Bericht in der RP und auf RP-Online kam Manfred Kohl 2009 in Kontakt mit Angehörigen der Besatzung. 2011 besuchte der britische Schauspieler William Oxborrow die Gartenstadt. Er hatte versprochen, die Spuren seines Onkels – Thomas E. – zu verfolgen, den er nur von Fotos und aus Erzählungen seiner damals 86-jährigen Mutter kannte. Am Absturzort fand Oxborrow auf ihn bewegende Fragen plausible Antworten.

„Nun Joan, es ist schon spät und ich sage ,gute Nacht’ und lass bald von dir hören“, schrieb Thomas E. am 22. Oktober 1944. Zehn Tage später war er tot.

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