Prozess nach Raub am Hermann-Löns-Weg in Haan Raubopfer liefert dem Gericht neue Erkenntnisse

HAAN · Der 86-jährige Pensionär wurde von der Polizei beim Landgericht vorgeführt. Zum vierten Mal schilderte das Opfer als Zeuge die grauenvollen Stunden.

 Der Prozess findet vor dem Landgericht Wuppertal statt.

Der Prozess findet vor dem Landgericht Wuppertal statt.

Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel

Als die Polizisten am Montagmorgen unerwartet bei ihm an der Türe geklingelt hätten, habe er sich gerade im Badezimmer rasiert. Die Herren seien sehr nett und die Fahrt durch den Schnee zum Wuppertaler Landgericht wunderbar gewesen. Dass er dort polizeilich vorgeführt worden war, nahm der Pensionär augenscheinlich mit Humor. So etwas als Opfer eines Raubüberfalls zu können, zeugt von großer seelischer Kraft. Die scheint der Mann auch deshalb gut gebrauchen zu können, weil es nun schon das vierte Mal innerhalb der letzten drei Jahre war, dass der mittlerweile 86-Jährige in dieser Sache als Zeuge aussagen musste.

Das hätte er eigentlich schon in der vergangenen Woche tun sollen, da war er aus Furcht vor Corona nicht gekommen. Das allein genügte dem Gericht nicht als Entschuldigung, ein ärztliches Attest wäre nötig gewesen. So steht es in der Opferfibel des Bundesjustizministeriums, die Strafprozessordnung lässt keinen Ermessensspielraum zu.

Der Vorsitzende Richter ordnete die polizeiliche Vorführung an und verhängte ein Ordnungsgeld. Alternativen? Keine. Dass es solche Reglungen gibt, hat einen nachvollziehbaren Grund: Nicht selten überlegen es sich Zeugen anders und wollen nicht vor Gericht aussagen. Sei es aus Angst, oder auch aus Bequemlichkeit: Wer so etwas tut, erschwert die Beweisaufnahme. Das Täter am Ende glimpflich oder gar straffrei davonkommen, weil Opfer nicht aussagen möchten? Das kann niemand wollen.

Im Falle des Haaner Raubopfers sind es daher vor allem moralische Grenzbereiche der Zumutbarkeit, inmitten derer man sich bei der Einordnung eines solchen Vorgangs bewegt. Geladen worden war der Pensionär auf Betreiben der Verteidigung – allenfalls der Angeklagte und dessen Anwalt hätten also auf eine erneute Ladung verzichten können. Und möglicherweise haben sie sich auch keinen Gefallen damit getan: Gründliche Nachfragen des Richters brachten nun neue Erkenntnisse zutage.

Hatte das Opfer bislang davon gesprochen, nur zwei unterschiedliche Stimmen gehört zu haben, so scheinen nun immer mehr Erinnerungen zurückzukommen. Er habe drei unterschiedliche Stimmlagen wahrgenommen: Einer der Männer habe mit russischem Akzent gesprochen. Ein anderer habe ihm mit Ironie in der Stimme vor dem Anzünden des Hauses gesagt, dass es gleich schön warm werden würde. Zuvor soll ein Dritter gesagt haben: „Wir fahren jetzt.“

Für den Angeklagten dürfte einiges davon abhängen, wie das Gericht diese Aussage des Zeugen bewertet. Bislang hatte der 38-Jährige beteuert, das Haus verlassen zu haben, als der Pensionär Ende Mai 2017 nach Hause gekommen sei. Er will zitternd auf der Terrasse ausgeharrt haben, während Mittäter den gefesselten und geknebelten Mann stundenlang malträtierten. Dem psychiatrischen Gutachter hatte der Angeklagte gesagt, er habe sein Zeitgefühl verloren und sich nicht getraut, ohne die Mittäter abzuhauen.

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