Zu Besuch im Tagebau Garzweiler II Weihnachten auf Bagger 288

Grevenbroich · Drei Männer und ein Koloss kennen keine Feiertagspause. Sie haben sich freiwillig gemeldet und leisten Präzisionsarbeit. Dass das nun plötzlich Teufelszeug fürs Klima sein soll, will ihnen nicht in den Kopf.

 Okan Ilkar (25) ist stolz auf seine Arvbeit. Er fährt den Bagger 288, den größten weit und breit.

Okan Ilkar (25) ist stolz auf seine Arvbeit. Er fährt den Bagger 288, den größten weit und breit.

Foto: Dieter Staniek

Alles vibriert: Wände und Boden, Tisch, Bänke und die Decke. Der gesamte Pausenraum zittert. Nur Christoph Hofmann (29) sitzt ruhig da, während die Besucher Halt suchen. Es gibt keinen. Zwei Etagen höher hat sein Kollege Okan Ilkar (25) einen kleinen Teil der 22.500 PS in Schwung gebracht, die Bagger 288 antreiben. „Wir fahren nur ein kurzes Stück zurück“, sagt Hofmann, der den Koloss bis eben noch selbst gesteuert hat.

Nach zwei Stunden muss der Mann im Führerhaus abgelöst werden, weil die Konzentration nachlässt. Braunkohleförderung ist kein stures Abbaggern eines Flözes, sondern Präzisionsarbeit; ein Vor und Zurück, bei dem die große Schaufel bis auf wenige Zentimeter genau gesteuert werden muss. Falls zwischendurch ein tonnenschwerer Findling auf das Gummiband fällt, „dann muss man schnell den Notaus-Knopf drücken – oder so ein Brocken zerreißt viele hundert Meter Förderband“, sagt Okan Ilkar.

Theoretisch wäre dies an Weihnachten die einzige Situation, zu der sich alle drei Männer von Bagger 288 gemeinsam im Pausenraum treffen würden. Wenn alles gut läuft, ist das Trio nur zwei Mal pro Schicht zusammen: Beim Einfahren in den Tagebau und nach Schichtende. In den Stunden dazwischen verbindet sie der Sprechfunk. Jeder aus dem Trio weiß, dass er sich auf den anderen verlassen kann: Einer fährt den Koloss, der pro Tag 240.000 Tonnen Abraum und 240.000 Tonnen Braunkohle fördert. Ein 29 Kilometer langer Zug mit 2400 Waggons wäre nötig, um diese Menge zu befördern. Ein Kollege kontrolliert den Absetzer auf die Förderbänder, der Vorarbeiter ist am besten überall gleichzeitig.

 Im Steuerstand von Bagger 288: Okan Ilkar direigiert das große Schaufelrad. 

Im Steuerstand von Bagger 288: Okan Ilkar direigiert das große Schaufelrad. 

Foto: Dieter Staniek

Für Weihnachtsstimmung ist in den Schichten wenig Raum. Auf einem der höheren Türme glimmt ein Lichterbaum. Die Planierraupe trägt ein kleines, grünes Tännchen. Doch im Fahrerhaus und im Pausenraum ist alles so wie immer. Viele der 1500 Malocher hier im Tagebau haben sich freiwillig gemeldet für die Schichten über die Feiertage. Christoph Hofmann sagt es gerade heraus: „Ich habe gerade ein Haus gekauft. Ich kann die Feiertagszuschläge gut gebrauchen.“ Okan Ilkar, der Kollege mit den türkischen Wurzeln, erklärt, Weihnachten gehöre zu Deutschland. Er möge die Lichter und den Schmuck in der Innenstadt. Und natürlich nimmt auch er gerne die Feiertagszulage mit – sagt aber auch: „Wer Kinder hat, sollte jetzt bei seiner Familie sein.“ Deshalb hat sich der Junggeselle für Weihnachtsschichten gemeldet. Sowohl Hofmann als auch Ilkar stammen aus der RWE-eigenen Ausbildung. Und noch eins haben beide gemeinsam. Wenn man sie fragt, was derzeit ihre Aufgabe ist, dann sagen sie: „Wir sind Großanlagenfahrer.“

Sie sind es, die Bagger 288 lenken und produktiv halten. Eine Industrieanlage auf einem Ketten-Fahrgestell, das so groß ist wie das 50-Meter-Becken im Freibad. Ein Bagger, der mit 240 Metern so lang ist wie zweieinhalb Fußballfelder und mit einer Gesamthöhe von 96 Metern die New Yorker Freiheitsstatue um stolze drei Meter überragt. Kein Wunder, dass Bagger 288 einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat.

Dass das, was sie hier täglich leisten, nun plötzlich Teufelszeug sein soll, will den meisten Braunkohlekumpeln jedoch nicht in den Kopf. Christoph Hofmann mag abends nach der Schicht nicht einmal mehr die Tagessschau sehen. „Kein anderes Land macht bei Maßnahmen gegen den Klimawandel, beim Kohleausstieg, mit. Warum müssen wir in Deutschland also so vorpreschen?“ fragt er. Bei einer Pro-Kohle-Demo hat er beobachtet, wie WDR-Filmteams grinsend mit den Grünen abklatschten. Während bei ihm die Raten fürs Haus jeden Monat weiter laufen.

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