Grevenbroich Wenn Muslime 30 Tage lang verzichten

Grevenbroich · Seit neun Tagen läuft der muslimische Fastenmonat Ramadan. Was der Verzicht auf Nahrungsmittel für Gesundheit und Beruf bedeutet.

Heute Morgen um 5.18 Uhr ist über Grevenbroich die Sonne aufgegangen. Um exakt 21.53 Uhr wird sie wieder untergehen. Und in der Zwischenzeit? Nichts. Keine Getränke, kein Wasser, kein Kaffee. Auch keine Speisen. Keine Genussmittel, keine Zigaretten. Fasten ist angesagt. Auch bei Yahya Cakar. Schon als Kind hat der gläubige Muslim während des Ramadans das Verzichten gelernt.

Der 37-Jährige ist einer von rund 20 000 Muslimen im Rhein-Kreis, die heute den neunten Tag infolge zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang fasten. Der Ramadan richtet sich nach dem etwa elf Tage kürzeren muslimischen Mondkalender und geht bis zum 16. Juli. Dieses Jahr fällt er wieder in die heißen und langen Sommermonate. "Das macht das Fasten nicht gerade einfach", sagt Cakar. Aber es geht darum, seine eigenen Bedürfnisse herunterzufahren und sich bewusst zu machen, wie sich arme Menschen weltweit fühlen, die Hunger und Durst leiden.

Seit seinem 14. Lebensjahr fastet Cakar während des Ramadans. Er hat sich langsam herangetastet. Heute ist er Vorsitzender des Grevenbroicher Moscheevereins "Ditib". Sein Hungergefühl kann der bei Hydro beschäftigte Produktionsmitarbeiter tagsüber offenbar besiegen. Er sagt: "Der Hunger hält sich in Grenzen. Was mir fehlt, sind Getränke und Zigaretten."

Normalerweise, so Yahya Cakar, gelinge es ihm nicht, über mehrere Stunden auf Zigaretten zu verzichten. "Auch wenn es mir sehr schwer fällt: Irgendwie hat es bisher immer geklappt." Aber Zigaretten zählen im Gegensatz zu Getränken und Speisen nicht zu Lebensmitteln, die ein Mensch zu sich nehmen muss. "Notfalls", sagt er, "würde ich das Fasten unterbrechen. Die Zeit kann ich nachholen." Doch das komme nicht oft vor. Gegessen, getrunken - oder geraucht - wird stattdessen wenn die Sonne untergegangen ist.

Doch welche Auswirkungen hat das Fasten für bis zu 17 Stunden täglich auf den Körper? Die Neusser Ernährungsberaterin Marianne Bender sagt: "Theoretisch kann ein Mensch mit nur einer Mahlzeit am Tag seinen Bedarf an Nährstoffen und Kalorien decken." Der Körper könne die Belastung "abpuffern". Sorge bereitet ihr der Verzicht auf Flüssigkeiten: "Eigentlich sollte ein Mensch in kleinen Mengen über den Tag verteilt mindestens zwischen eineinhalb und zwei Litern Flüssigkeit zu sich nehmen." Tue er dies nicht, laufe er Gefahr, dass sich durch verdicktes Blut Gerinnsel bilden, die im schlimmsten Fall zum Schlaganfall führen könnten.

Fakt ist: Niemand wird gezwungen, sich strikt ans Fasten zu halten. "Im Zweifelsfall kann ich auch als gläubiger Muslim abbrechen. Niemand soll seine Gesundheit aufs Spiel setzen", betont Yahya Cakar. Das gelte auch für Menschen, die im Beruf Verantwortung tragen - mitunter auch für andere Menschen.

Ein Beispiel: Busfahrer. "Besondere Absprachen wegen des Ramadans treffen wir mit muslimischen Busfahrern nicht. Wir erwarten, dass sie voll einsatzfähig zum Dienst erscheinen", sagt eine Sprecherin der Bahn, die auch Busse in Grevenbroich einsetzt. "Wir versuchen dennoch, den Bedürfnissen unserer Fahrer gerecht zu werden", sagt sie. So könnten etwa Schichten getauscht werden. "Das kommt aber nur selten vor." Elisabeth Roderhoff vom Kreiskrankenhaus Grevenbroich berichtet: "Manche Mitarbeiter nehmen sich zum Ramadan ihren Jahresurlaub. Auch eine Arbeitsverkürzung ist möglich, die Zeit muss allerdings nachgearbeitet werden." Generell mache sich die Fastenzeit im Grevenbroicher Elisabeth-Krankenhaus kaum bemerkbar. "Noch nie ist jemand während der Arbeit umgekippt", sagt Elisabeth Roderhoff.

Wie Mario Meyen, Neusser Fachanwalt für Arbeitsrecht, erklärt, dürfte ein Arbeitnehmer dies auch nicht riskieren. "Wer sich am Ramadan beteiligt, muss trotzdem die volle Arbeitsleistung erbringen und trägt Verantwortung für das, was er tut", sagt der Jurist. Bisher gibt es in Bezug auf den Ramadan keine eindeutige Rechtssprechung. Laut Meyen kollidieren zwei Rechtsgüter miteinander: die Erbringung der Arbeitsleistung und die Religionsfreiheit. Entschieden werden muss im Einzelfall. - Yahya Cakar sieht sich von solchen Problemen weit entfernt. "Ich bin voll leistungsfähig", sagt der Grevenbroicher, der sich jeden Tag vor allem auf eines freut: auf das gemeinsame Beten und Essen nach Sonnenuntergang in der Moschee, zu dem alle eingeladen sind.

(NGZ)
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