Vor 15 Jahren bei Grevenbroich Das erste „Klimacamp“ warf noch Schnaps ab

Grevenbroich · BUND-Aktivisten waren den Lützerath-Besetzern weit voraus: Fast auf den Tag genau vor 15 Jahren wurde unweit der Stadtgrenze das erste „Camp“ geräumt. Der Protest von einst lässt sich kaum mit dem von heute vergleichen. Umweltschützer erinnern sich.

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Grevenbroicher Umweltschützer erinnern sich an ihr erstes Camp

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Ein paar Flaschen hat Dirk Jansen aufbewahrt. Nicht als „eiserne Reserve“, sondern vielmehr als Andenken. „Garzweiler Flächenbrand – stärkt die Widerstandskraft“ steht auf den schlanken Fläschchen mit klarem Bio-Apfelbrand, der mit 40 Prozent nicht nur die Seele erheitert haben dürfte, sondern auch ziemlich schmackhaft gewesen sein soll. Jedenfalls erinnert der kleine Restbestand Jansen an das erste „Klimacamp“ am Tagebau Garzweiler: an die Obstwiese, die einst den Rohstoff für das Hochprozentige abwarf und auf der Umweltschützer vor genau 15 Jahren ihre Zelte aufschlugen, um gegen die Braunkohleverstromung zu protestieren. „Wir waren die ersten“, betont Dirk Jansen, der schon damals Mitglied des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) war – und mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Lützerath sagt: „Geschichte wiederholt sich.“

Was sich zu Beginn des Jahres 2008 nicht weit entfernt von der Grevenbroicher Stadtgrenze und in Sichtweite der beiden Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath abspielte, hat damals ein gewaltiges Medienecho ausgelöst. Sogar die New York Times soll berichtet haben – über die Obstwiese bei Alt-Otzenrath. „Die Wiese war rund einen Hektar groß und wurde ab den 90er Jahren von uns bepflanzt. Wir hatten da einige alte Apfelsorten, zum Beispiel die Rheinische Sternrenette“, erinnert sich Jansen: „Natürlich wussten wir, dass die Wiese eines Tages ein Hindernis für den Braunkohletagebau werden würde.“ Jahrelang haben Mitglieder des BUND die Bäume auf dem Acker vor den Toren Otzenraths ökologisch bewirtschaftet und Schnaps aus den Früchten gebrannt, aus dessen Verkaufserlös auch die Widerstandsaktion (zumindest teilweise) finanziert werden konnte.

Lange Zeit kämpften die Umweltschützer für den Erhalt ihres Grund und Bodens. Mit dem Ziel, ein Zeichen zu setzen: gegen die Braunkohleverstromung, für den Klimaschutz – befeuert unter anderem durch die ersten alarmierenden Berichte des UN-Weltklimarates zu den Folgen des Klimawandels. „Damals sind ein Grundabtretungsverfahren und ein Verfahren zur vorzeitigen Besitzabweisung eingeleitet worden. Wir haben gegen beide Bescheide Klage eingereicht“, sagt Dirk Jansen – doch zunächst scheiterten die Umweltschützer vor den Gerichten. Für den Neujahrstag 2008 war schließlich die Räumung der Obstwiese angesagt. „Wir haben deshalb an Silvester 2007 dort unsere Zelte aufgeschlagen“, sagt der Düsseldorfer, der sich gut an klirrend-kalte Nächte erinnert, an Minustemperaturen, an das Ausharren – und an die vielen Journalisten, die die Entwicklung der folgenden Tage genau verfolgten und zum Teil sogar bei den Aktivisten „der ersten Stunde“ übernachteten. Auf der Wiese wurden derweil nicht nur Zelte aufgebaut, sondern auch Banner gespannt, zum Beispiel mit der Aufschrift „Zukunft statt Braunkohle“. Und: Es gab jede Menge Schilder mit Aufschriften wie „Grevenbroich – CO2-Hauptstadt Europas“ oder „Neurath – Klimakiller stoppen“.

Mit dabei war damals auch Rolf Behrens, noch heute aktiv im BUND Grevenbroich. „Ich erinnere mich daran, dass uns viele Pakete mit Nudeln und Kaffee gespendet wurden“, sagt Behrens. Nudeln, weil sie sich leicht und schnell zubereiten lassen, und Kaffee wohl zum Kampf gegen die Müdigkeit. „Wir haben das gemeistert“, sagt Rolf Behrens: „Bis Tag X kam.“ Das war der 10. Januar 2008. Nur eine Handvoll Umweltschützer harrte da noch auf der Obstwiese aus – darunter Dirk Jansen und Rolf Behrens. „Wir waren noch fünf, sechs Leute und haben uns an Bäume geklammert, als die Polizei mit einer Hundertschaft anrückte“, sagt Dirk Jansen: „Wir wurden dann von der Polizei von der Wiese geschleppt.“ Unmittelbar danach seien die Bäume auf der Wiese umgenietet worden. „Das war’s dann“, sagt Jansen. Zumindest erst mal. Denn: „Wir haben juristisch natürlich nicht locker gelassen.“

Der BUND hat weiter geklagt. Als das Bundesverwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, gingen sie in die nächste Instanz. Und dann geschah das, was wohl kaum jemand erwartet hatte: „Wir haben eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die – und das war eine Sensation für sich – erstens angenommen wurde und zweitens dann auch noch zu unseren Gunsten entschieden wurde“, berichtet Jansen. Weil, so Jansen, keine energiepolitische Abwägung erfolgt war, sei die Grundabtretung im Dezember 2013 für grundgesetzwidrig erklärt worden. „Fünf Jahre nach der Räumung der Obstwiese wurden die Gerichtsbeschlüsse von einst also kassiert“, sagt Rolf Behrens. Von dem juristischen Erfolg hatten die Umweltschützer allerdings nichts mehr: Wo sich einst ihre Wiese befunden hatte, befand sich da schon ein etwa 200 Meter tiefes Loch.

Trotzdem werten sowohl Jansen als auch Behrens die Gerichtsentscheidung als Erfolg. Weil sie zu lebhaften Debatten geführt hat. Wenige Jahre später wurde in einer neuen Leitentscheidung für den Tagebau Garzweiler II der Ort Holzweiler aus dem Abbaufeld gestrichen. „Das sehe ich als einen Erfolg der politischen Arbeit, die auch auf unserem Verfassungsgerichtserfolg aufbaute“, sagt Dirk Jansen.

Was bleibt, ist die Erinnerung an das erste „Klimacamp“ am Tagebau Garzweiler, das allerdings nur bedingt mit dem in Lützerath vergleichbar ist. Vor 15 Jahren kämpften die Umweltschützer auf ihrem eigenen Grund – längst nicht so radikal wie die Aktivisten in Lützerath, von denen viele erst auf den Weiler aufmerksam geworden sein dürften, als die meisten Bewohner längst umgesiedelt waren. Der „Ur-Protest“ bei Otzenrath war eine friedliche Variante. Ein „ziviler Ungehorsam“ ohne fliegende Steine und ohne Molotowcocktails, die manche Aktivisten am äußersten Rand der Bewegung zünden – vermutlich auch, um Krawall zu machen.

In der Sache aber geht es den (meisten) Braunkohle-Gegnern noch immer um das Gleiche: darum, zu verhindern, dass weitere Millionen Tonnen Emissionen freigesetzt werden. „Wir wollen friedliche Bilder des Widerstands erzeugen, damit um die Sache debattiert wird“, sagt Dirk Jansen, der noch heute hauptamtlich beim BUND tätig ist. Für diesen Samstag rufen die Umweltschützer zu einer Demonstration auf, zu der mehrere tausend Teilnehmer erwartet werden und die bei Lützerath stattfinden soll. „Das erschreckende ist: Seit der Räumung unserer Obstwiese vor 15 Jahren hat sich beim Klimaschutz kaum etwas getan“, meint Rolf Behrens. Auch er wird bei der Demo dabei sein und ein Zeichen setzen. So wie damals: Geschichte wiederholt sich.

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