Grevenbroich Strom abgedreht: Hilfe für säumige Zahler

Grevenbroich · Die NEW, zu deren Unternehmensgruppe auch das Gas- und Wasserwerk Grevenbroich (GWG) gehört, sperrte im vergangenen Jahr 5900 Mal Strom in ihrem Versorgungsgebiet ab. Ein Modellprojekt soll jetzt Abhilfe schaffen.

 Weil die Kosten für Strom und Gas stetig steigen, können viele Menschen die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Bevor der Strom abgedreht wird, bieten ihnen die Verbraucherschützer um Hanna Masuhr (r.) Hilfe an.

Weil die Kosten für Strom und Gas stetig steigen, können viele Menschen die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Bevor der Strom abgedreht wird, bieten ihnen die Verbraucherschützer um Hanna Masuhr (r.) Hilfe an.

Foto: dpa,Woitschützke,Reichartz

Es ist ein Beispiel, das die besondere Brisanz deutlich macht: Ein Mann bezahlt die Stromrechnung nicht mehr. Die NEW mahnt und kündigt schließlich an, den Strom zu sperren. Als der Mitarbeiter des Versorgers wenige Tage vorher noch einmal persönlich mit dem säumigen Kunden Kontakt aufnimmt, erlebt er dessen gesundheitliche Situation: Die medizinische Versorgung wäre ohne Strom nicht mehr gewährleistet gewesen. "Ich habe mich dann selbst darum gekümmert, viel telefoniert und über mehrere Umwege schließlich Hilfe gefunden", erzählt NEW-Vorstandsmitglied Frank Kindervatter.

 Weil die Kosten für Strom und Gas stetig steigen, können viele Menschen die Rechnungen nicht mehr bezahlen. GWG-Geschäftsführer Willi Peitz bestätigt, dass die Zahl der säumigen Zahler zugenommen hat.

Weil die Kosten für Strom und Gas stetig steigen, können viele Menschen die Rechnungen nicht mehr bezahlen. GWG-Geschäftsführer Willi Peitz bestätigt, dass die Zahl der säumigen Zahler zugenommen hat.

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Dies ist — wenn auch nicht in dieser Dramatik — nicht außergewöhnlich. 5900 Fälle zählt die NEW jährlich in ihrem Versorgungsgebiet — dazu zählt Grevenbroich neben Mönchengladbach, Viersen, Tönisvorst und dem Kreis Heinsberg —, bei denen sie zwischenzeitlich Strom oder Gas abgestellt hat, weil die Kunden ihre Rechnung nicht mehr bezahlten.

GWG-Geschäftsführer Willi Peitz hat dabei einen traurigen Trend festgestellt. "In den vergangenen Jahren hat die Zahl derer, die ihre Rechnung nicht mehr zahlen konnten, in Grevenbroich zugenommen", sagt er. Insgesamt hat das GWG in der Schlossstadt rund 25 000 Kunden.

Künftig werden die NEW-Mitarbeiter den säumigen Kunden Adresse und Telefonnummer der auch für die Schlossstadt zuständigen Verbraucherberatungsstelle an der Bahnhofstraße in Mönchengladbach-Rheydt in die Hand drücken. Sie ist Teil des Modellprojekts "NRW bekämpft Energiearmut". Ziel ist es, Energie-Schuldner gezielt zu beraten und ihnen zu helfen — bei der Zahlung der ausstehenden Beträge, beim Kassensturz und bei der persönlichen Finanzplanung.

Ursula Winbeck, langjährige Mitarbeiterin der Verbraucherberatung, kümmert sich um diese Notfälle. Das Land zahlt einen Großteil der Projektkosten, die NEW beteiligt sich mit 30 000 Euro jährlich. Dass dies, wie es neudeutsch heißt, eine Win-win-Situation für alle Beteiligten wird, liegt auf der Hand: Der Versorger hat größere Chancen, nicht auf seinen Kosten sitzen zu bleiben. Die Säumigen bekommen einen Rettungsanker. Und mit einer umfassenden Budgetberatung lernen sie, ihren Haushalt so zu ordnen, dass sie auch künftig wieder Strom und Gas bezahlen können. Dass der Bedarf nach diesen Hilfen auch ohne dieses spezielle künftige Beratungsangebot hoch war, haben die Verbraucherschützer wiederholt festgestellt. Rentner, Alleinerziehende, Geringverdiener wandten sich auch in der Vergangenheit immer wieder an die Verbraucherberatungsstelle, weil sie nicht mehr weiter wussten.

Leiterin Hanna Masuhr, Ursula Winbeck und ihre Kollegen mussten zu diesem Thema schon viele Fragen beantworten und manchem aus der Bredouille helfen. Und dass den Säumigen ihre Energie-Schulden egal sind, das haben die Berater nie beobachtet. "Im Gegenteil. Vor allem Rentner leiden sehr darunter, wenn sie ihre Rechnungen einfach nicht mehr bezahlen können und dann nicht mehr ein noch aus wissen", sagt Winbeck.

Ihre Hilfe hat mehrere Ziele. Das erste wird dadurch bestimmt, dass die ausstehende Summe bezahlt wird — auch über eine Ratenvereinbarung. Dann sieht sie eine Aufgabe darin, mit den Betroffenen die größten Energiefresser zu finden und da die Kosten zu senken — das sind dann die klassischen Vorschläge wie etwa der Verzicht auf Wannenbäder und das Senken der Wohntemperatur. Und schließlich will sie den Betroffenen helfen, das Haushaltsbudget in den Griff zu bekommen — das bedeutet bei auch künftig stetig steigenden Energiekosten, dass an anderer Stelle Verzicht geübt werden muss oder finanzielle Unterstützung von anderer Stelle möglich wird. Auch wird Winbeck in Einzelfällen empfehlen, die Schuldnerberatung einzubeziehen.

In Wuppertal hat die Verbraucherzentrale NRW das Modell ausprobiert und gute Erfahrungen gemacht. "Davon", erklärt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW, "haben sowohl die Stadtwerke als auch ihre Kunden profitiert."

Das hört Frank Kindervatter gerne, die NEW sieht ihr Geld gut angelegt. Kindervatter: "Das verbessert auch unser Image. Denn es ist für uns nie gut, wenn wir den Strom abdrehen müssen."

(NGZ/ac)
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