Welchenberg Auf den Spuren eines Heiligen

Grevenbroich · Stadtführerin Anni Bierbaum kennt spannende Orte, die jeder Bürger bei einem Spaziergang entdecken kann. Am Welchenberg findet sich der Willibrordus-Brunnen. Kein anderer Ort in der Stadt ist derart von Mythen umrankt.

 Anni Bierbaum zeigt den Willibrordus-Brunnen. Bis ins achte Jahrhundert wurde am Welchenberg jedoch der keltische Gott Walchus verehrt.

Anni Bierbaum zeigt den Willibrordus-Brunnen. Bis ins achte Jahrhundert wurde am Welchenberg jedoch der keltische Gott Walchus verehrt.

Foto: H. Jazyk

Annie Bierbaum geht zielstrebig voran. Die Stadtführerin will zu jenem Ort, der wie kein anderer in der Stadt von Mythen umrankt ist. Es sind noch wenige Meter im Schatten des üppigen Baumwuches am Welchenberg, und hier, nicht weit vom heutigen Kraftwerk Neurath, wurde einst der keltische Gott Walchus verehrt.

Man kann sich diese Bilder vorstellen wie in einem Kinofilm: Da erstehen sie auf, die Kelten und ihr Gott Walchus, dem sie gar eine Statue errichteten. Es sind düstere und kalte Bilder, eine Ästhetik in Grau. Man denkt an Nacht und Schwärze, und das hat natürlich mit all den Filmen zu tun, die man über keltische Mythen gesehen hat. Aber das hier ist keine Nachtwanderung, es ist ein Frühlingsnachmittag — und Anni Bierbaum hat einen Grund, diesen Ort zu zeigen. Die 62-Jährige führt für die NGZ an einen Ort, der erstaunliche Geschichten zu erzählen hat. Geschichten, die jeder Spaziergänger für sich entdecken kann.

Die keltische Verehrung des Gottes Walchus fand am Welchenberg 709 ein jähes Ende. Damals kam der Missionar Willibrordus, Bischof von Utrecht, in die Region, um das Christentum zu verkünden. Die Walchus-Statue ließ er zerstören. Und Willibrordus baute nicht nur eine Kirche. Er hinterließ — so erzählt es die Überlieferung — auch eine Heilquelle. "Sie soll entstanden sein, nachdem Willibrordus seinen Bischofsstab in die Erde steckte", sagt Anni Bierbaum. Die Heilquelle diente zur Taufe und wurde von Pilgern aufgesucht. Die heutige Brunnengestaltung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Dort gab es eine weitere Tradition, die bis in die 1950er Jahre reichte.

Annie Bierbaums Ehemann Peter (66) erinnert sich noch an die Kinderkleidungsstücke, die er in seiner Jugend häufig am Willibrordus-Brunnen sah. Es waren die letzten Spuren eines Brauches, der mit Ende der 1950er Jahre verschwand: Junge Frauen, die gerne Mutter werden wollten, oder Mütter mit kranken Kindern erhofften sich Kraft und Heilung durch das Wasser jener Quelle. Als Gabe hinterlegten sie daher kleinen Mützen oder Kinderhemden.

Nicht weit vom Willibrordus-Brunnen entfernt lebte einst auch der sogenannte Wunderschäfer von Neurath. 1842 soll er — damals 44 Jahre alt — den Sohn seines Dienstherren von Lähmungen in den Beinen geheilt haben. Daraufhin strömten viele Bürger zu ihm, die sich eine ähnlich wundersame Behandlung durch bloßes Handauflegen erhofften. Bis der Wunderschäfer eines Tages selbst erkrankte. Die Deutung der Zeitgenossen: Er habe seine Heilkraft verloren. Der Wunderschäfer von Neurath starb schließlich arm und vereinsamt.

Anni Bierbaum findet es spannend, auf den Spuren der Stadtgeschichte zu wandeln. "Man entdeckt dabei oft Erstaunliches", sagt sie. Mit dem Willibrordus-Brunnen ist es ähnlich. Man muss den Ort auf sich wirken lassen, sich vorstellen, wie es dort gewesen sein mag, damals im Mittelalter. Und später, im 15. Jahrhundert, als nicht weit vom Brunnen ein Kloster entstand.

(NGZ)
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