„Das Hambach-Urteil sitzt wie ein Schock in der Region“ Sorge um den Industrie-Standort

Rhein-Kreis · Vertreter von NRW-Landesregierung, Kammer, Wirtschaft und Gewerkschaften ziehen an einem Strang. Der gemeinsame Appell an die Kohle-Komission: Es darf keinen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle geben – das gefährde den Strukturwandel in der Region. Eine seltene Einigkeit.

 Wie lange wird es Strom aus Braunkohle noch geben? Diese Frage beschäftigt vor allem das Rheinische Revier.

Wie lange wird es Strom aus Braunkohle noch geben? Diese Frage beschäftigt vor allem das Rheinische Revier.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Klimaschutz, Versorgungssicherheit und preisgünstiger Strom sind gleichrangig. Und so muss energiepolitisch auch diskutiert werden. Dieses Signal an die Berliner Kohle-Kommission ging jetzt von einem Round-Table-Gespräch in der Neusser NGZ-Redaktion aus. Hochrangige Teilnehmer waren Christoph Dammermann, Staatssekretär des NRW-Wirtschaftsministeriums, Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, Volker Backs, Geschäftsführer von Hydro Aluminium, und Frank Löllgen, Landesbezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.

Die Kommission, die am Mittwoch im Rheinischen Revier unterwegs ist, soll den Ausstieg aus der Braunkohle vorbereiten. Es wäre aber falsch, wenn sie am Ende nur zwei Zahlen produzieren würde: „Ein Ausstiegsjahr und eine Milliardensumme, die in die Reviere fließen soll“, sagt Christoph Dammermann. Das Land erwarte mehr und erinnere bei jeder Gelegenheit daran, dass sich die Kommission Gedanken um einen Instrumenten-Mix machen soll. „Wettbewerbsfähige Strompreise, sichere Versorgung und Klimaschutz müssen zusammengebracht und nicht als Gegensätze begriffen werden“, bekräftigt der Staatssekretär. Die Breite der Industrie mit ihren gut bezahlten Arbeitsplätzen müsse auch in Zukunft erhalten bleiben. Das Land setze auf Startups und Digitalisierung, aber beides brauche den industriellen Kern, ohne den es nicht gehe.

Das sieht auch Volker Backs so. „Nur durch die Industrie, deren Investitionen in effiziente Fertigung, klimafreundliche Produkte und funktionierende Recyclinglösungen können wir Wertschöpfung, Einkommen und Klimaschutz zum Gemeinwohl kombinieren – und unsere Zukunft so gestalten, wie wir sie uns für NRW, Deutschland und Europa vorstellen“, sagt der Hydro-Geschäftsführer. Elektrische Energie sei kein Selbstzweck, sondern der erste Schritt der integrierten Wertschöpfungskette. Und Backs macht deutlich: „Wir haben die Industrie in NRW aufgrund des sicheren und preisgünstigen Stroms aus der Braunkohle.“ Für die Unternehmen sei Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit immens wichtig – denn: „Wir sind im globalen Wettbewerb, konfrontiert mit klaren Wirtschaftsprogrammen wie ,America first‘ und ,China 2025‘“, sagt Backs.

Braunkohle sei nicht nur Grundlage, sondern sogar Voraussetzung für die Industrie in NRW. Eine alternative Energieversorgung, die vor dem Hintergrund von Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit funktioniere, kenne er noch nicht, betont Backs. Und er wird deutlich: „Wird jetzt über einen vorgezogenen Ausstieg entschieden, ist dies klar zum Schaden der Industrie, unseres Einkommens und unserer künftigen Gestaltungsmöglichkeiten.“ Der Braunkohletagebau und die Kohleverstromung sind derzeit bis 2045 genehmigt. Die Entscheidung für einen vorzeitigen Ausstieg – ohne eine Alternative zu kennen – käme einer „Aufkündigung von Investitionssicherheit“ und der „Abschaffung der industriellen Grundlagen“ gleich, sagt Backs.

Gerade der Rhein-Kreis sei ein starker Standort, der einen wichtigen Beitrag zur nationalen Energieversorgung mit Kraftwerken und Tagebau leiste. Allein in unserer Region seien 35.000 Menschen in energieintensiven Unternehmen beschäftigt, sagt Jürgen Steinmetz. Das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. „Wer auch künftig Versorgungssicherheit und Preisstabilität sicherstellen will, muss dafür die Voraussetzungen mit dem Ausbau regenerativer Energieträger, der Stromnetze und Speicher schaffen. Erst dann ist ein Ausstieg aus der Braunkohle möglich“, macht Jürgen Steinmetz deutlich.

Gegen Klimaschutz könne niemand sein, betont Frank Löllgen. „Die Frage am Ende ist allerdings, wie er gemacht wird.“ Dass die Braunkohle einmal zu Ende ist, sei jedem klar – „doch was kommt danach?“ Energie aus Sonne und Wind seien derzeit kaum eine Alternative, da es keine Speichermöglichkeiten gebe. „Deutschland hätte nicht 20 Milliarden Subvention in Solar- und Windstrom, sondern einen Teil auch in Innovation geben müssen – etwa für Forschungsprojekte und Hochschulen, die sich unter anderem mit der Speicher-Frage beschäftigen.“

 Von der Kohle-Kommission erwarte Löllgen denn auch eines: „Dass Lösungen verabredet werden, die sich an dem technisch Machbaren orientieren. In der Konsequenz bedeutet das, dass es einen flexiblen Zeitstrahl für den Ausstieg geben sollte.“ Das wäre klüger, als sich auf ein Ausstiegsdatum 2037 festzulegen, sagt auch Staatssekretär Dammermann. Und er stellt eines fest: „Letztlich ist die Kommission kein Ersatz-Parlament, die Diskussion beginnt erst anschließend in Bundestag und Bundesrat.“ Er selbst spricht übrigens nicht von einer Kohle-, sondern von einer Strukturwandel-Kommission, die sich Gedanken über die Energiepolitik der nächsten Jahre machen müsse.

Die IG BCE hat für Mittwoch zu einer Großdemonstration in Bergheim aufgerufen, rund 10.000 Teilnehmer werden erwartet. „Dort werden wir der Kohle-Kommission deutlich machen, worum es uns geht“, kündigt Löllgen an: „Um einen vernünftigen strukturellen Wandel, um Beschäftigung und zuletzt um die CO2-Reduzierung – und zwar in dieser Reihenfolge.“ Denn auch in Zukunft müsse es Industriearbeit im Rheinischen Revier geben – „damit Arbeit, gute Löhne und Wohlstand in der Region bleiben“. Darauf komme es an.

Das Hambach-Urteil „sitze wie ein Schock in der Region“, sagt Löllgen – „darauf war niemand vorbereitet“. Die Gewerkschaft akzeptiere den Richterspruch, sage aber auch eines deutlich: „Das Urteil hat voll den Erwartungen des BUND entsprochen. Jetzt bedarf es ganz dringend politischer Lösungen für die Beschäftigen.“ Hinter dem Urteil dürfe sich die Kohle-Kommission nicht verstecken, appelliert Jürgen Steinmetz. „Sie bleibt weiter in der Verantwortung. Wir sind ein wirtschaftsstarker Standort. Durch einen erfolgreichen Strukturwandel wollen wir es auch bleiben.“ Und Christoph Dammermann macht deutlich: „Wenn hohe Strompreise dazu führen, dass Industriebetriebe im Ausland produzieren, haben wir nichts gewonnen – auch für das Klima nichts.“

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