Kolumne „Spiritueller Zwischenruf“ Ein Stück Paradies durch Blumen, Sterne und Kinder

Grevenbroich · Prior Bruno Robeck aus dem Kloster Langwaden sieht Lichtblicke in der für viele düsteren Corona-­Zeit. Vermeindlich unspektakuläre Dinge wie Blumen können – wenn man sich darauf einlässt – einen Hauch des Paradieses aus der Zeit vor Corona zurückbringen.

 Bruno Robeck ist Prior im Zisterzienserkloster Langwaden. 

Bruno Robeck ist Prior im Zisterzienserkloster Langwaden. 

Foto: Melanie Zanin

Ich rieb mir verwundert die Augen, als ich sah, dass Lehrer es sich nicht nehmen ließen, die Halbjahreszeugnisse persönlich zu überreichen, weil sie ihre Schüler vermissen. Ich traute meinen Ohren kaum, als ich hörte, wie sehr sich die Kinder wieder nach der Schule sehnen. Ich war auch über mich selbst überrascht, als ich in mir den Wunsch spürte, wieder einen vollen Terminkalender zu haben, obwohl mich früher die Vielzahl privater und offizieller Treffen zu nerven begann.

Durch das coronabedingte Herunterfahren des gesamten gesellschaftlichen Lebens empfinden viele Menschen wohl ähnlich wie ich. Uns geht die Luft aus. Gegenüber früheren Zeiten fühlen wir uns jetzt wie aus dem Paradies herausgeworfen.

Natürlich war vor der Corona-Pandemie die Welt nicht perfekt, aber es gab elementare Erfahrungen, die jetzt so sehr fehlen: die menschliche Nähe, das Fühlen der Weite und die Unbeschwertheit der Begegnung. Diese paradisischen Erfahungen fehlen, denn die Gefahr lauert überall.

Können wir das Paradies trotz Corona-Pandemie zurückgewinnen? Mir ist ein Spruch des italienischen Dichters Dante Alighieri eingefallen. Diese Worte Dantes standen – vor einigen Jahren – zusammen mit einem passenden Foto lange Zeit auf meinem Schreibtisch: „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“ Wer will, kann sich das Paradies ein Stück weit zurückerobern.

Jeder wird wahrscheinlich mindestens eines dieser drei Dinge in der Pandemiezeit finden können. Wir sehen Blumen in der eigenen Wohnung, am Straßenrand und bei der Floristin, die geöffnet haben darf. Blumen sind wie bunte Farbtupfer in den kleinen Problemen des Alltags und in den großen Herausforderungen der Pandemie. Blumen sind nicht nur schön anzusehen, sondern strahlen Lebendigkeit und Anteilnahme aus. Und: „Die ros ist ohn warum“, sagt der Mystiker Angelus Silesius. Blumen blühen einfach. Blumen spiegeln etwas von der Unbeschwertheit des Lebens wider.

Wer in ländlichen Regionen lebt, kann bei entsprechenden Wetterverhältnissen nachts die Sterne sehen. Der Blick in den Sternenhimmel lässt still werden. Er eröffnet eine Weite, die unser irdisches Sein weit hinter sich lässt. Die Erfahrung mit Kindern ist nicht allen Menschen gegeben. Die Kinderlosen können dabei am ehesten versucht sein, das Idealbild eines Kindes zu zeichnen. Aber im Blick des Kindes zeigt sich etwas Unverbrauchtes, Unbeschwertes und Neues. Kinder erschließen den Erwachsenen eine Dimension, die sie bis dahin nicht kannten.

Wer sich auf diese drei Dinge einlässt, wird etwas vom Hauch des Paradieses einatmen. Zumindest ein Teil der Schwere der Corona-Pandemie kann dann abfallen. Gleichzeitig wird man noch eine andere Erfahrung machen. Die Vor-Corona-Zeit hatte auch Fehler und Mängel, die man sich nicht zurückwünscht. Mitten in der Pandemie entsteht eine neue Lebensdimension durch Blumen, Sterne und Kinder. Sie waren schon immer da, aber sie hatten noch nie eine solche Wirkkraft wie jetzt.

In der letzten Zeit haben wir vor allem die unheimliche Kraft des Coronavirus erlebt. Es hatte die Macht, bisher offenstehende Türen fest zu verschließen. Das Virus kann aber nicht verhindern, dass wir jetzt neue Türen öffnen. P. BRUNO ROBECK OCIST

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