Grevenbroich Neubürger halten Politik für "familienfern"

Grevenbroich · Die Stadt rühmt sich gerne mit "Familienfreundlichkeit". Doch bei jungen Familien, die neu in Grevenbroich sind, gibt's Ernüchterung. In Kapellen regt sich Kritik - auch wegen des geplanten Gewerbegebiets K 32 neben dem Wohngebiet.

 Neben dem Gewerbegebiet K 27 sollen in Richtung Autobahn 46 neue Gewerbeflächen entstehen. Anwohner befürchten erhöhten Verkehr und Lärm.

Neben dem Gewerbegebiet K 27 sollen in Richtung Autobahn 46 neue Gewerbeflächen entstehen. Anwohner befürchten erhöhten Verkehr und Lärm.

Foto: Berns

Als Isabelle Hahn (36) etwas Mineralwasser in ihr Glas füllt, überholt das Bild für einen Moment alles Gesagte am Tisch. Mehrere junge Familien, die sich im zweiten Bauabschnitt des Neubaugebiets Kapellen ein Zuhause eingerichtet haben, sitzen an diesem Abend im Wohnzimmer der Hahns beisammen. Wenn sich eine Familie an einem Ort niederlässt und dort ihr Haus bezieht, ist das in der Regel ein Grund für Sekt-Stimmung. Doch die ist bei den Neubürgern längst Ernüchterung gewichen. Es herrscht Selters-Stimmung, in Isabelle Hahns Glas kann man sehen, wie das Mineralwasser perlt. Was die Neubürger über ihre ersten Monate in Grevenbroich sagen, ist eine schallende Ohrfeige für Politik und Verwaltung. Immer wieder fällt das Urteil "familienferne Politik".

 Hadern mit der Familienpolitik (v.l.): Philipp Reisch, Joachim Heiermann, Nikolaos Liountaroglou, Sabine Bauthong, Martin Alexander und Andreas Hahn.

Hadern mit der Familienpolitik (v.l.): Philipp Reisch, Joachim Heiermann, Nikolaos Liountaroglou, Sabine Bauthong, Martin Alexander und Andreas Hahn.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Aus Düsseldorf, Neuss und Ratingen sind sie nach Kapellen gezogen. "Seither haben wir festgestellt, dass es für Familien in Grevenbroich eigentlich nur schlechte Nachrichten gibt", sagt Sabine Bauthong (36). Zur Begrüßung in der Schlossstadt gab's die für Eltern mit jungen Kindern leidvolle Diskussion um die Kita-Gebühren. Das Sanierungskonzept der Stadt sieht vor, dass künftig Beiträge für alle Geschwisterkinder erhoben werden. Bislang wurden sie beitragsfrei in den Tagesstätten betreut. Künftig sollten Eltern für das zweite Kind einen Beitragsanteil in Höhe von 40 Prozent zahlen. Dabei liegt Grevenbroich laut einer Erhebung des Bundes der Steuerzahler bei den Kita-Gebühren in NRW bereits in der Spitzengruppe. Doch es regte sich Widerstand, allen voran durch die Elterninitiative "Für ein familienfreundliches Grevenbroich". Das Thema wird weiter diskutiert. Ende offen.

Ein weiteres Ärgernis für die Neu-Kapellener: der geplante Ausbau des Gewerbegebiets K 32 zwischen dem bestehenden Gewerbegebiet K 27 und der Autobahn 46. Andreas Hahn ist sichtbar verärgert. "Die Pläne gibt es mit Sicherheit schon länger, aber es hat uns vor dem Hauskauf niemand darauf aufmerksam gemacht", sagt er. Auch später habe es keine Bürger-Information gegeben. Stattdessen sei immer nur die Rede vom bestehenden Gewerbegebiet K 27 gewesen. Das allerdings nimmt sich mit einer Größe von 2,7 Hektar im Gegensatz zum nebenan geplanten Gewerbegebiet K 32 geradezu klein aus.

Dort sollen auf 12,5 Hektar Grundstücke für Gewerbe entstehen. "Es wäre schön, wenn uns das jemand gesagt hätte", betont Hahn. "Vielleicht hätten sich einige dann gar nicht für einen Hauskauf in Kapellen entschieden", meint Nachbar Philipp Reisch. Ähnlich argumentiert eine ganze Reihe Anwohner. Im Rathaus sieht man dies gelassen. "Was bei den Interessenten im Einzelfall beim Kauf der Grundstücke an Informationen vorlag, wissen wir nicht", sagt Stadtsprecher Andreas Sterken. Die Stadt verweist darauf, dass es in den "Verantwortungsbereich des Einzelnen" falle, sich von den "rechtlichen Verhältnissen im Umfeld" ein Bild zu machen. "Der geplante Umfang von Gewerbeflächen kann dem Flächennutzungsplan, den jede Gemeinde hat, entnommen werden", sagt Sterken. "Bislang hat jedoch niemand Einwände gegen eine Erweiterung der Gewerbegebietsflächen hinter den heute bereits ansässigen Unternehmen erhoben."

Dabei befürchten die Neu-Kapellener gleich eine ganze Reihe Belastungen. "Durch den massiv zunehmenden Pkw- und vor allem Lkw-Verkehr ist eine Überlastung der derzeit einzigen Zubringerstraße ,Auf den Hundert Morgen' vorprogrammiert, ebenso wie die Zunahme von Lärm, Schmutz und Gestank", sagt Andreas Hahn. Wegen der vielen Kinder in der Nachbarschaft gibt es zudem Sorgen um die Sicherheit. Die Nachbarn Philipp Reisch, Nikolaos Liountaroglou (39) und Joachim Heiermann (45) sehen dies ähnlich. Andreas Sterken beschwichtigt. "Die Anbindung weiterer Gewerbeflächen, die in der Tat geplant sind, erfolgt über den Kreisverkehr beim Verbrauchermarkt in Richtung Autobahn. Zusätzliche Verkehre innerhalb der Wohngebiete entstehen dadurch nicht."

Mehr Information für die Bürger täte der Stadt jedoch gut. Neubürger in Selters-Stimmung empfehlen Grevenbroich kaum als "lebenswert" an Freunde weiter.

(NGZ)
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