Geschichtsverein Grevenbroich erinnert an Helmut Sachs Wie ein Junge den Holocaust überlebte

Hemmerden · Als Helmut Sachs 1945 befreit wird, ist er 15 Jahre alt und der letzte Überlebende seiner Familie aus Hemmerden. Der Geschichtsverein Grevenbroich erinnert an den Jungen, der KZ und Todesmarsch überstand.

 Ein Familienfoto aus der Zeit vor dem Holocaust: (v.r.) Helmut Sachs mit seiner Mutter Henriette und seiner Schwester Jenny, aufgenommen in den Jahren 1938/39.

Ein Familienfoto aus der Zeit vor dem Holocaust: (v.r.) Helmut Sachs mit seiner Mutter Henriette und seiner Schwester Jenny, aufgenommen in den Jahren 1938/39.

Foto: Familie Sachs-Aussen

Die L71 auf halber Strecke zwischen Bedburdyck und Hemmerden: Auf dem jüdischen Friedhof erinnert ein Gedenkstein an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt zwischen 1933 und 1945. 27 Namen sind in den Stein gemeißelt. Im Jahre 1932 hatte die jüdische Gemeinde in Hemmerden 26 Mitglieder. Der Name „Sachs“ taucht auf dieser schwarzen Steintafel vier Mal auf. Der Geschichtsverein Grevenbroich mit seinem Vorsitzenden Ulrich Herlitz erinnert an einen Jungen aus Hemmerden, der Verfolgung, Konzentrationslager und Todesmärsche überlebt hat. Hier ist sein Text:

Am 3. Mai 1945 wurde der Hemmerdener Helmut Sachs in Neustadt/Holstein befreit. Helmut wurde am 25. April 1930 in Hemmerden geboren. Bei seiner Befreiung war er gerade erst 15 Jahre alt, seine gesamte Familie, seine Schwester Jenny, die Eltern Philipp und Henriette starben im Holocaust, ebenso wie Tanten und Onkel der Familien Theisebach, Aussen und Winter.

Hinter Helmut Sachs lagen die Deportation in das Ghetto von Riga im Dezember 1941, das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald, das Knzentrationslager Stutthof und ein Todesmarsch von dort in die Lübecker Bucht, zum Teil auf Kohlekähnen über See. Überall wälzten sich 1945 Todesmärsche mit KZ-Häftlingen zurück ins Deutsche Reich.

 Helmut Sachs überlebte Konzentrationslager und Todesmarsch.

Helmut Sachs überlebte Konzentrationslager und Todesmarsch.

Foto: Familie Sachs-Aussen

Noch als die Briten vor den Toren Neustadts standen und ihnen die Stadt übergeben wurde, kam es durch den örtlichen Volkssturm, eine Versehrteneinheit, Marinekadetten der örtlichen Marineschule und SS-Bewacher zu einer Jagd auf entflohene Stutthof-Häftlinge am Strand von Pelzerhaken. Etwa 200 KZ-Insassen aus Stutthof wurden noch kurz vor der Befreiung ermordet. Obwohl die Tätergruppen bekannt waren, wurde niemand zur Verantwortung gezogen, und die Ermittlungen wurden 2015 eingestellt.

Eigentlich sollten die Stutthof-Häftlinge auf den im Hafen von Neustadt liegenden Dampfer Athen verschifft und zu dem in der Neustädter Bucht auf Rede liegenden Dampfer Thielbeck und zur Cap Arkona transportiert werden. Die Cap Arkona wurde noch am 3. Mai 1945 durch einen tödlichen Irrtum von der britischen Luftwaffe versenkt. Die Briten hatten nicht erkannt, dass es sich um ein KZ-Schiff mit 7000 wehrlosen Opfern handelte. Fast alle Häftlinge kamen ums Leben.

Nach Befreiung von Helmut Sachs kümmerten sich vor allem jüdische Selbsthilfeorganisationen wie das Jewish Distribution Commitee oder die Jewish Brigade um die Waisen. Die Mehrzahl von ihnen wurde in Cismar im ehemaligen Landschulheim Lensterhof betreut und auf eine Emigration nach Palästina vorbereitet.

Anders Helmut Sachs. Er lebte seit der Jahreswende 1945/46 für gut zwei Jahre in Hemmerden bei seiner Cousine Marianne Stern-Winter. Auch sie hatte den Holocaust überlebt, ebenfalls in den KZ Riga und Stutthof. Auch sie war die einzige Überlebende ihrer Familie, die in Hemmerden an der Landstraße 13 lebte. Helmut Sachs begann in Hemmerden eine Schneiderlehre bei Stübben, zumal Marianne versuchte, die (groß-)väterliche Schneiderei „Lazarus Winter & Söhne“ wieder zu etablieren. Doch eine Integration war für die Holocaustüberlebenden sehr schwer.

So entschloss sich die Familie Stern-Winter im Jahr 1948 nach Paraguay auszuwandern. Helmut Sachs emigrierte während der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 dorthin. Hilfe erhielt er wieder von jüdischen Organisationen im DP Camp Bergen-Belsen, die die Emigration im Geheimen kurz vor der Gründung des Staates Israel vorbereiteten und organisierten. In Israel lebte Helmut Sachs bis Mitte der 1950er Jahre, bevor er nach Hamburg zurückkehrte, eine Familie gründete und dort bis zu seinem Tod 1981 lebte. Der 8. Mai 1945 markiert für viele Holocaustüberlebende wie die Familien Sachs-Aussen, Theisebach und Stern-Winter nicht nur den Tag der Befreiung, sondern auch den Tag, an dem ihre Familienangehörigen für Tod erklärt wurden.

Bereits 2018 hat der Geschichtsverein Grevenbroich eine Familienzusammenführung der überlebenden Nachfahren von Lazarus Winter aus Hemmerden organisiert, mit den Familien Stern-Winter, Sachs-Aussen und Theisebach. Im Juni 2019 kamen sie aus den Vereinigten Staaten, Frankreich, den Niederlanden, Polen und Deutschland zusammen, darunter der Sohn sowie zwei Enkel von Helmut Sachs.

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