Grevenbroicher Fall beschäftigt Juristen Streit um Knöllchen und Verwaltungsgebühren

Grevenbroich · Mindestens zweimal muss ein ehemaliger Polizist den mit einem privaten Postdienstleister herausgeschickten Bußgeldbescheid der Stadt Grevenbroich nicht bekommen haben. Der Fall beschäftigt Juristen, Gericht und Verwaltung.

 Karl-Heinrich Bühlbecker hat einen Bußgeldbescheid der Stadt Grevenbroich  zweimal von der Postcon nicht zugestellt bekommen.

Karl-Heinrich Bühlbecker hat einen Bußgeldbescheid der Stadt Grevenbroich zweimal von der Postcon nicht zugestellt bekommen.

Foto: Dieter Staniek

Die Möglichkeit, in der Tempo-30-Zone an der Rheydter Straße geblitzt zu werden, ist groß: Das musste kürzlich auch ein Kriminalhauptkommissar a.D. feststellen. „Ich hätte das Knöllchen natürlich auch sofort bezahlt, wenn ich es bekommen hätte“, sagt Karl-Heinrich Bühlbecker aus Jüchen-Gierath. Die Stadt Grevenbroich bemühte sogar das Gericht, obwohl Bühlbecker die 25 Euro, die ihm als Bußgeld wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung auferlegt worden waren, nachweislich überwiesen hat.

Das Amtsgericht Grevenbroich hat den Widerspruch des 77-Jährigen zurückgewiesen: Die Verfahrenskosten seien von der Stadt Grevenbroich zu Recht erhoben worden, denn diese seien, ebenso wie das Bußgeld selbst, „ein Kostenrisiko als Folge des ordnungswidrigen Verhaltens“ von Karl-Heinrich Bühlbecker. Diese Entscheidung sei nicht anfechtbar, wird ihm mitgeteilt. Doch der pensionierte Gesetzeshüter sieht nicht ein, weshalb er für Fehler des Postzustellers belangt werden soll. „Ich prüfe jetzt weitere juristische Schritte“, kündigt er an.

Angefangen hatte alles damit, dass die Stadt Grevenbroich über den privaten Briefzusteller Postcon zweimal vergeblich versuchte, den Bußgeldbescheid in Gierath an der Wohnadresse von Karl-Heinrich Bühlbecker zuzustellen. Doch die Briefe seien als „nicht zustellbar“ wieder zurückgekommen, hatte Bühlbecker in einem Gespräch mit der Bußgeldstelle der Stadt Grevenbroich erfahren. Dort hatte sich nämlich der Ex-Polizist gemeldet, nachdem er schließlich aus einem „gelben Brief“ in Form einer amtlichen Zustellung, wohlgemerkt diesmal mit der Deutschen Post, erfahren hatte, dass die Stadt Grevenbroich sozusagen nach ihm gefahndet hatte. Die 25 Euro Bußgeld habe er natürlich sofort überweisen, auf keinen Fall aber die zusätzliche Verwaltungsgebühr von 28,50 Euro: Das hat Bühlbecker der Stadt Grevenbroich schriftlich mitgeteilt. Er schreibt unter anderem an die Bußgeldstelle der Stadt Grevenbroich: „Ich bin bereit, die 25 Euro Verwarngeld zu begleichen, und werde dies auch umgehend tun. Die Differenz von 28,50 Euro fordern Sie bitte bei dem von Ihnen mit der Zustellung beauftragten Unternehmen ein, da der Fehler nachweislich dort zu suchen ist. Es ist empörend, dass ich für Ihre, beziehungsweise die Fehler der von Ihnen beauftragten Firma einstehen soll,“ beklagt Bühlbecker und betont, er halte das Verhalten der Stadt Grevenbroich für bürgerfeindlich.

Doch was dann kam, machte den Kriminalhauptkommissar a.D. fast sprachlos, denn die Stadt Grevenbroich ging nicht auf seine Argumente ein, sondern teilte ihm lapidar mit: „Aufgrund Ihres Antrages auf gerichtliche Entscheidung wird die Akte gemäß § 62,69 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten an das Amtsgericht Grevenbroich abgegeben.“ Bühlbecker, der übrigens unter Umständen auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde an die Kreisverwaltung beabsichtigt, versteht nicht: „Ich habe das Verwarngeld gezahlt und schon ganz bestimmt keinen Antrag gestellt, meinen Fall ans Gericht zu verweisen. Es ist doch nicht mein Fehler, dass sich die Stadt Grevenbroich, vielleicht um Geld zu sparen, eines privaten, aber offensichtlich nicht so zuverlässigen Zustelldienstes bedient.“

Auf den von dem Bürger vorgetragenen Sachverhalt ging aber die Stadt Grevenbroich auch auf Redaktionsnachfrage nicht ein. Pressesprecher Stephan Renner teilte zunächst nur mit: „Der Fall wurde dem Amtsgericht zur Klärung übergeben. Zu laufenden Verfahren äußern wir uns nicht.“

Daraufhin fragte die Redaktion erneut nach: Die Stadt Grevenbroich arbeite offensichtlich bei Briefsachen mit einem privaten Postdienstleister. Der NGZ liege eine Bürgerbeschwerde wegen wiederholt nicht erfolgter Zustellung vor. Habe die Stadt Erkenntnisse zur Zuverlässigkeit der privaten Postdienstleisters und wie gehe die Stadt mit solchen Bürgerbeschwerden um?, wollte die NGZ wissen.

Dazu antwortete der Stadtsprecher: „Durch eine gemeinsame Ausschreibung von Postdienstleistungen mit den Kommunen im Rhein-Kreis Neuss und dem Rhein-Kreis Neuss ist als Partner die Fa. Postcon unter Vertrag genommen worden. Zur Zeit wird die Deutsche Post AG von der Stadt Grevenbroich für elektronische Postzustellungsauträge in Anspruch genommen. Andere Dienstleister sind nicht für die Stadt Grevenbroich tätig“, antwortet Renner und fügt hinzu: „Das Hauptamt kontrolliert regelmäßige mittels Testsendungen die vereinbarten Servicelevel. Im Ergebnis haben die letzten Tests ergeben, dass die Vereinbarungen eingehalten werden.“ Allerdings räumt der Sprecher ein: „Vor einiger Zeit hatte es aufgrund der Personalsituation bei den Zustellern der Postcon im Raum Grevenbroich Zustellprobleme gegeben. Dies ist jedoch schon einige Zeit her und durch die Firma behoben worden.“

Renner schreibt aber auch, trotz der bei der Stadt Grevenbroich schriftlich vorliegenden Beschwerde von Karl-Heinrich Bühlbecker: „Beschwerden werden direkt mit der für uns zuständigen Vertriebsverantwortlichen geklärt. Aktuell sind uns keine Probleme bekannt, an uns herangetragen worden.“

Inzwischen hat Bürgermeister Klaus Krützen Karl-Heinrich Bühlbecker einen Gesprächstermin angeboten bekommen. Und auch das Gericht hat noch einmal reagiert und erläutert einen in Schreiben verwendeten Begriff, der bei Bühlbecker und anderen, ähnlich Betroffenen für Irritationen gesorgt hatte: „Erzwingungshaftverfahren“. Das hatte dem Empfängern einen gehörigen Schrecken eingejagt: Unnötigerweise, wie jetzt der Sprecher des Landgerichts Mönchengladbach, Richter Fabian Novara, erklärt. Tatsächlich werde das Wort automatisch durch das Computerprogramm des Gerichtes bei Bußgeldverfahren ausgedruckt. Er wolle aber mit der IT-Abteilung über eine Änderung sprechen: „Es gibt da ein Kommunikationsproblem“, räumt Novara ein, der zugibt, dass der juristische Laie dies nicht wissen könne.

Deshalb verdeutlicht der Gerichtssprecher: „Das Amtsgericht hat in keinem der geschilderten Fälle Erzwingungshaft angedroht oder verhängt. Es droht weder eine Verhaftung eines der Beteiligten an, noch muss das Amtsgericht ihnen eine Zelle reservieren.“ Die Verhängung von Erzwingungshaft komme nur in Betracht, wenn ein Betroffener auf einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid hin die Geldbuße selbst (nicht also die Verwaltungsgebühr) nicht bezahle, obwohl er zahlungsfähig sei und anderweitige Beitreibungsversuche erfolglos geblieben seien. „Nur in diesen Fällen, in denen das Bußgeld selbst nicht gezahlt wurde, droht das Amtsgericht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde zunächst die Verhängung von Erzwingungshaft an und setzt diese, soweit keine Reaktion des Betroffenen erfolgt, auch fest“, betont Novara.

Die Eingabe, mit der sich Karl-Heinrich Bühlbecker gegen die Verwaltungsgebühren wende, sei von der Stadt Grevenbroich als Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) über die festgesetzten Verwaltungsgebühren (und nur über diese) gewertet und deshalb dem Amtsgericht vorgelegt worden. Das Amtsgericht habe die Beschwerde zurückgewiesen und so begründet: „Die Verfahrenskosten wurden von der Verwaltungsbehörde zu Recht erhoben. Der Betroffene hat keinen Anspruch auf eine gebührenfreie Ahndung der begangenen Ordnungswidrigkeit.“ Das Verwaltungsverfahren bezwecke zwar, die Durchführung eines Bußgeldverfahrens im Bagatellbereich zu ersparen. Allerdings bestehe insoweit keine Verpflichtung der Ordnungsbehörde, das Verwarnungsverfahren durchzuführen. Vielmehr stehe die Entscheidung, welches Verfahren die zuständige Behörde fehle, in deren pflichtgemäßem Ermessen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf NStE Nr. 3 zu § 56 OWiG). Im Bußgeldverfahren könne dann nicht geltend gemacht werden, der Erlass eines Bußgeldbescheides sei unzulässig gewesen, weil ein Verwarnungstatbestand erfüllt sei. „Dass ein Betroffener möglicherweise mit Gebühren belastet wird, die ihm nicht entstanden wären, wenn er Gelegenheit zur Zahlung des Verwarnungsgeldes gehabt hätte, muss in Kauf genommen werden“, sagt der Gerichtssprecher. Dieses Kostenrisiko sei Folge des ordnungswidrigen Verhaltens (OLG Köln VRS 75, 219, 221). „Etwas anderes kann nicht gelten, wenn die schriftliche Verwarnung den Betroffenen – wie hier – nicht erreicht hat.“ Dem liege der Gedanke zugrunde: „Die von Herrn Bühlbecker begangene Ordnungswidrigkeit ist bußgeldbewährt. Die Ordnungsbehörde hätte deshalb von Anfang an einen Bußgeldbescheid erlassen können, wobei stets auch entsprechende Verwaltungsgebühren anfallen“, sagt der Richter.

Die vorherige Verwarnung stelle lediglich eine zusätzliche Option dar (nachzulesen in § 56 OWiG). „Die Behörde kann, muss aber nicht vorrangig von der Möglichkeit der Verwarnung Gebrauch machen. Solle, aus welchen Umständen auch immer, eine Verwarnung den Betroffenen nicht erreichen, kann die Behörde ohne Weiteres einen Bußgeldbescheid erlassen und ist berechtigt, die entsprechenden Verwaltungsgebühren zu berechnen“, fügt Novara hinzu. Dass eine schriftliche Verwarnung den Betroffenen nicht erreiche, liegt nach der gesetzlichen Wertung im Risiko des Betroffenen und nicht dem der Behörde. „Deshalb werden Verwarnungen – anders als Bußgeldbescheide – auch in der Regel nicht förmlich zugestellt.“ Und er fasst zusammen: „Mit der Entscheidung des Amtsgerichts wurde lediglich die Zahlungspflicht des Betroffenen in Hinblick auf die Verwaltungsgebühren bestätigt. Die Erzwingungshaft wurde an keiner Stelle angedroht oder verhängt.“

Anmerkung der Redaktion: Der Bericht wurde am Dienstag, 19. Juni 2018, nach einer Stellungnahme des Sprechers des Landgerichts Mönchengladbach, der vor allem die Verwendung des Begriffs „Erzwingungshaftverfahren“ erläuterte, aktualisiert.

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