Grevenbroicher Kino verschenkt 200 Sessel Film-Fans räumen zwei Kino-Säle aus

Grevenbroich · Im Grefi herrschte ab Sonntagmittag großer Andrang. Grund war aber nicht der neueste Blockbuster. Filmfreunde standen vielmehr Schlange, um sich kostenlos Original-Kinosessel zu sichern. Denn die alten Stühle mussten raus.

 Beim Demontieren der Kinosessel war handwerkliches Geschick gefragt. Insgesamt mussten 200 Stühle raus.

Beim Demontieren der Kinosessel war handwerkliches Geschick gefragt. Insgesamt mussten 200 Stühle raus.

Foto: Dieter Staniek/Stan

Jochen Kuhnert vom Grefi-Kino im Montanushof könnte jammern über Corona und die damit verbunden Umsatzeinbußen – tut er aber nicht, im Gegenteil: Nicht nur, dass er in eine neue Bestuhlung investiert, er gibt die alten, gut zehn Jahre alten Stühle auch kostenlos ab. Einzige Bedingung: Die künftigen Eigentümer mussten am Sonntag die Stühle selber abbauen. Mit einem einfachen Schraubenzieher war das nicht zu bewerkstelligen.

Die Schlange Wartender vor dem Kino war am Vormittag lang. Der Grund hierfür war nicht ein neuer Film, den man sich auf keinen Fall entgehen lassen wollte, sondern die rund 200 Stühle, die abgebaut und abtransportiert werden mussten. Ziemlich hinten in der Schlange wartete Michael Heiliger. Er war mit dem erforderlichen Werkzeug ausgestattet und es mangelte auch nicht an handwerklichem Geschick. Trotzdem hielt er es für möglich, nicht mehr zu Zuge zu kommen. Die vier Stühle würden im großen Wohnzimmer ihren Platz finden für einen Hauch von Kinoatmosphäre in den eigenen vier Wänden, die er mit seiner Familie genießen möchte.

Die Interessenten, überwiegend jüngere Leute, nahmen in der Regel nicht nur einen einzigen Kinosessel mit, gerne wurde eine ganze Reihe abgeschraubt und abgestaubt. Jochen Kuhnert hat nie daran gedacht, Geld zu verlangen für die gebrauchten Stühle. Seine Begründung passt in die Weihnachtszeit: „Man kann den Leuten ruhig auch mal eine kleine Freude machen.“

Das heisere Surren der Akkuschrauber war mitunter das einzige Geräusch, die Hobbyhandwerker kehrten der weißen Leinwand den Rücken zu, Wartende knabberten Popcorn. Alexandra Bielack hatte ihren Partner Jens Heitborn und ihren Vater Heinz-Willi Bielack mitgebracht. Als Kraftfahrzeug-Mechaniker fiel es dem Senior nicht schwer, die vier Stühle loszuschrauben. Er hatte Profiwerkzeug dabei und wusste, wo was einzusetzen war. Einen festen Platz in der Wohnung des jungen Paares haben die vier blauen Kinosessel noch nicht. Alexandra Bielack hat folgende Idee: „Wir wollen sie in unsere bestehende Wohnungseinrichtung integrieren.“ Die jungen Leute hatten über Facebook von der Aktion erfahren, während Heinz-Willi Bielack durch die Tageszeitung darauf aufmerksam gemacht worden war.

Achim Brecht kam im Blaumann. Der selbstständige Installateur hatte als Hilfe seinen Mitarbeiter Thomas Riedel im Schlepptau. Auch hier wusste man, was zu tun ist – und wie die Kinosessel künftig genutzt werden: „Sie kommen in meine Garage. Dort kann ich Mitarbeiterschulungen vornehmen. Beamer und Leinwand ermöglichen es, Filme und Motorradrennen zu gucken“, erklärte Brecht. Original Kinosessel sind da ein Mehrwert.

Nicht jeder Sitz ließ sich in den Kinosälen 2 und 3 problemlos abschrauben – so was nennt man wohl Sitzstreik. Im Supermarkt würde man von Bückware sprechen: Für den Abbau der Sitze lagen die Interessenten zum Teil sogar lang auf der Auslegeware mit Animalprint. Jochen Kuhnert mischte sich immer wieder ins Gewusel, gab Tipps und achtete darauf, dass nichts kaputt ging. Wenn Paare versuchten, ihre Wunschsitze abzumontieren, barg dies immer die Gefahr einer kleinen Ehekrise.

Draußen vor dem Montanushof standen Kombis mit geöffneten Hecklappen. Wer an eine Sackkarre gedacht hatte, war klar im Vorteil und wurde von den anderen beneidet. Draußen konnte man dann das ausgediente Sitzmöbel zum ersten Mal bei Tageslicht sehen. Währenddessen hieß es am Eingang „Der nächste bitte“.

„Ich habe ein gutes Gefühl bei dieser Aktion“, sagte Jochen Kuhnert. Der Zustand der Sitze konnte insgesamt als gut bezeichnet werden. Und wenn tatsächlich der eine oder andere kleine Mangel an einem Sessel entdeckt wurde, sei es drum: Einem geschenkten Gaul schaut man ja bekanntlich nicht ins Maul. Und irgendwie ist so ein bisschen „Patina“ auch was Schönes.

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