Kinder in Neuenhausen hatten mit Kriegsbomben gespielt Grevenbroicher erinnern an tödliches Unglück vor 75 Jahren

Neuenhausen · Vor 75 Jahren, ein Jahr nach dem Krieg, sind vier Jungen aus Neuenhausen durch Munitionsreste getötet worden, mit denen sie gespielt hatten. Im Projekt „Netzwerk Kriegstote“ erinnern Grevenbroicher nun an das Schicksal der Kinder.

 Heinz-Peter Bartz, Ulrich Herlitz, Stefan Rosellen und Stefan Fassbender (v.l.) legen Blumen an den Gräbern nieder.

Heinz-Peter Bartz, Ulrich Herlitz, Stefan Rosellen und Stefan Fassbender (v.l.) legen Blumen an den Gräbern nieder.

Foto: Kandzorra, Christian

Es war der 11. April 1946, fünf Minuten nach 14 Uhr, als ein lauter Knall die Bewohner von Neuenhausen aufschrecken ließ: ein Knall durch die Detonation von Munitionsresten, die damals in der Nähe des Hauses Welchenberg deponiert waren. Die Munitionsreste rissen vier Jungen im Alter zwischen neun und zwölf Jahren in den Tod, die offenbar daran gespielt hatten. Damals, ein Jahr nach Kriegsende, hatte Neuenhausen mit einem Mal vier weitere Kriegstote zu beklagen – ein Unglück, das das ganze Dorf erschüttert haben muss, wie es aus mindestens zwei Chroniken aus der Zeit hervorgeht.

Mit ihrem Projekt „Netzwerk Kriegstote“ wollen der Geschichtsverein Grevenbroich um Ulrich Herlitz und Stefan Fassbender sowie der Verein Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis Neuss auf das Schicksal auch von Heinz, Peter, Rudolf und Hans Jakob aufmerksam machen, an die vier nebeneinanderliegende Grabsteine auf dem alten Neuenhausener Friedhof erinnern. „75 Jahre nach dem Krieg hat kaum noch jemand einen persönlichen Bezug zu den Opfern. So geraten auch die Gräuel des Krieges immer mehr in Vergessenheit“, sagt Stefan Rosellen vom Verein Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis Neuss, der sich nicht nur mit der Dokumentation von Bunkern beschäftigt, sondern auch mit menschlichen Schicksalen, die hinter den Ereignissen insbesondere zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs stecken.

Damit, dass die Grevenbroicher einzelne Schicksale wie das der vier Jungen öffentlich machen, wollen sie auch zeigen, worin nationalsozialistisches Denken münden kann. „Wir wollen die Erinnerung an alle Opfer des Krieges wachhalten. An Soldaten, die im Feld oder in Kriegsgefangenschaft gestorben sind, an Zivilisten, die bei den Bombenangriffen und beim Einmarsch der US-Amerikaner ums Leben gekommen sind, an Zwangsarbeiter und selbstverständlich an alle vom NS-Regime verfolgten Menschen“, sagt Stefan Rosellen. Zu den 1782 Menschen aus Grevenbroich, die zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zu Tode gekommen sind, zählen 201 jüdische Menschen.

Dass nun auch an das Unglück vor 75 Jahren in Neuenhausen erinnert wird, begrüßt Heinz-Peter Bartz. Der 72-Jährige kam zwei Jahre nach dem Tod seiner Brüder Heinz und Peter zur Welt. „Das Unglück hat unsere Familie lange beschäftigt“, sagt er. Seine Eltern seien lange Zeit nicht darüber hinweggekommen, hätten beispielsweise den Esstsch weiterhin mit zwei Tellern für die beiden Jungen gedeckt. „Ich habe das im Grunde erst begriffen, als ich zur Schule ging“, erinnert sich Bartz, der sich in der Vergangenheit bereits einen Gedenkstein für die vier Kinder wünschte. Bisher erinnern nur die Grabsteine an die Jungen – und Einträge in Chroniken wie der der Neuenhausener Schule. Darin heißt es: „Das Dorf war wie gelähmt von diesem traurigen Ereignis. Schuld mit an diesem Geschehen trägt auch die Stadt und Polizei, die wohl von der ungenügenden Sicherung der Munition wussten, aber auch nichts unternommen hatten, die Gefahrenstelle abzuriegeln. [...] Auch diese Knaben sind ein Opfer des unsinnigen Krieges geworden.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort