Spiritueller Zwischenruf aus dem Kloster Langwaden 1:0 für den Corona-Denkkasten

Meinung | Langwaden · Da ihn Corona weiterhin beschäftigt, setzt Bruno Robeck seine Kolumne fort. „Ich kann es doch nicht ganz lassen“, sagt der Zisterzienser-Prior, der künftig in loser Reihenfolge seinen „Zwischenruf“ schreiben wird.

Die mehr als 64.000 Fans beim Fußball-EM-Finale Italien-England, dicht beieinander und ohne Maske, stehen symptomatisch für den brennenden Wunsch, endlich die Pandemie zu vergessen. Die leeren Zuschauerränge bei den soeben begonnenen Olympischen Spielen in Tokio zeigen, dass drastische Einschränkungen weiterhin notwendig sind. Gibt es nur diese beiden Extremreaktionen auf die anhaltende Pandemie? Und: Ist ein leeres Stadion die sinnvolle Alternative zu einem vollen Stadion? Leere Zuschauerränge ziehen die Fans förmlich magisch an. Unbesetzte Sitzplätze verursachen Frust. Die sinnvolle Alternative muss anders aussehen.

 Bruno Robeck, Prior der Langwadener Zisterzienser.

Bruno Robeck, Prior der Langwadener Zisterzienser.

Foto: Melanie Zanin

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr geht mir unser begehbares Kunstwerk in unserem Klosterpark nicht mehr aus dem Kopf. Dieses Kunstwerk von Jörg Schröder nenne ich gerne den „Corona-Denkkasten“. Manche sehen in ihm einen abgebrannten Kleiderschrank, weil er von weitem wie ein ausgebranntes Möbelstück wirkt. Diese Assoziation passt, denn die Coronapandemie hinterlässt eine Schneise des Schreckens und der Verwüstung wie eine Feuersbrunst.

Für andere wirkt der Corona-Denkkasten wie eine Telefonzelle – allerdings mit permanenter Frischluftzufuhr und bequemer Sitzgelegenheit. Im Corona-Denkkasten braucht man zwar ein Handy, um telefonieren zu können, aber man kann in diesem geschützten Raum Abstand vom äußeren Treiben gewinnen und ungestört die Umgebung beobachten. Während die Telefonzellen oft vollgekritzelt waren, liegt dort bei uns eine Schreibtafel.

Einige unserer Kloster-Besucher mussten an einen Beichtstuhl denken. Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass im Corona-Denkkasten der Platz für den Priester fehlt. Ähnlich wie der Beichtstuhl steht er jedoch allen offen, die über sich selbst nachdenken und aus ihren Fehlern lernen wollen. Unser begehbares Kunstwerk lädt ein, sich zu besinnen und den Neustart zu wagen.

Der Corona-Denkkasten ist für mich die wirkliche Alternative zum Sportstadion. Wie das Stadion hat auch er nur Sinn, wenn er benutzt wird. In ihn passen jedoch nicht zigtausende Menschen, sondern nur eine einzige Person. Hier wirkt keine Sogkraft der Masse oder Schwarmintelligenz sondern die bewusste Entscheidung des einzelnen, der den Mut aufbringt, einen eigenen Weg zu gehen. Mir scheint, wir bräuchten heute ebenso viele Corona-Denkkästen, wie es früher Telefonzellen und Beichtstühle gab.

Telefonzellen und Beichtstühle wollten die Menschen nie voneinander trennen – im Gegenteil: der Rückzug in diese Räume sollte helfen, um mit den anderen und um mit Gott in Verbindung zu bleiben. Wir brauchen gerade jetzt Räume, in denen wir zur Ruhe kommen können, in denen wir neu mit uns selbst, mit den Menschen und mit Gott in Kontakt kommen können.

Es muss keine Telefonzelle und kein Beichtstuhl sein, aber ein stiller Ort, an dem wir eine klare Haltung entwickeln können, wie wir als einzelne und als Gemeinschaft auf die anhaltende Coronakrise und den sich immer deutlich bemerkbarer machenden Klimawandel reagieren wollen.

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