Von der Zechen- zur Einkaufsstadt So kann Grevenbroich von Hückelhoven lernen

Grevenbroich · Hückelhoven hat den erzwungenen Strukturwandel als Chance begriffen und sich verändert. Von der ehemaligen Zechenstadt kann Grevenbroich lernen.

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So kann Grevenbroich von Hückelhoven lernen

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Foto: Dieter Staniek

Wenn Sophia-Jacoba stirbt, dann stirbt eine ganze Region! Diese Schreckensvision, die Angst vor der Zukunft, raubte viele Jahre lang der Stadt Hückelhoven und ihren Bewohnern den Mut. 1990 kam der Beschluss zur Stilllegung der damals modernsten Steinkohlezeche Europas mit rund 5000 Arbeitsplätzen. Hoffnungen, den Betrieb doch noch zu erhalten, zerschlugen sich: 1997 kam es zur letzten Schicht auf Sophia-Jacoba. Das Ende des Bergbaus in der Region, die häufig irrtümlich zum Aachener Revier gezählt wurde, war besiegelt – das Sterben der Region konnte beginnen.

  • Die Stadt verändert sich Die Region lebt. Insbesondere Hückelhoven hat nicht nur die Schließung der Zeche überstanden. Die Stadt hat sich von einer von der Steinkohle geprägten Stadt zu einer modernen Kommune mit vielen Gesichtern gewandelt. Einer, der zwangsläufig und hautnah diese Veränderung mitgestaltet hat, ist Bürgermeister Bernd Jansen. Den ausweglosen Kampf um den Erhalt der Zeche hat er als junger CDU-Ratsherr miterlebt; inzwischen ist der Zimmerermeister mit eigenem Betrieb seit 2004 hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt mit rund 40.000 Einwohnern.
  • Transformation gelungen „Wir haben den Strukturwandel gemeistert“, meint Jansen, um sich mit dem nächsten Atemzug zu verbessern. „Wir haben gute Fortschritte gemacht, sind aber noch längst nicht am Ende unseres Weges.“ Sich zurücklehnen und mit dem Erreichten zufrieden zu sein, das ist nicht sein Ding. „Das passt nicht zu uns Hückelhovenern“, sagt der Mann, der selbst aus dem Stadtteil Ratheim kommt. „Wir sind Malocher, packen an. Das ist Kumpelmentalität und ein Zeichen der Solidarität.“
  • „Wir-Gefühl“ gestärkt Solidarität zeigt sich allein schon in der Bemerkung eines Ratheimers: „Wir sind Hückelhovener.“ Die Menschen in der Kommune, die erst seit 50 Jahren die Stadtrechte besitzt, fühlen sich zusammengehörig. Es gibt nicht mehr das Ortsdenken, nicht das Besinnen auf ein Dorf. Was selbstverständlich nicht dazu führt, dass jeder einzelne Ort seine Individualität verliert. „Die Identifikation mit der Stadt ist groß und führt dazu, dass wir alle an einem Strang ziehen“, sagt der Bürgermeister. Nur so sei es möglich gewesen, die schwierige Zeit des Wandels anzupacken und zu überstehen.
  • Geld für Bildung Der Weg in eine Zukunft, in der es nicht mehr die „Zechenstadt“ geben wird, war unvermeidlich. „Wir haben uns gemeinsam im Stadtrat, in der Bürgerschaft, in der Verwaltung und in den Verbänden überlegt, was unser wichtigstes Gut ist“, berichtet Bernd Jansen. „Das sind die Kinder. Wir haben unser Bildungssystem modernisiert und in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund 70 Millionen Euro in ein Schulsystem investiert, in dem alle Schulformen und alle Schulabschlüsse vorhanden sind.“
  • Alternative Arbeitsplätze  Der erste Coup auf wirtschaftlichem Sektor gelang mit der Ansiedlung des Auslieferungslagers von QVC. Auf einer Industrie- und Gewerbefläche zwischen Doveren und Baal ließ sich der TV-Versandhaus-Betreiber nieder. „Wir haben uns gegen starke Konkurrenz aus den neuen Bundesländern durchgesetzt. Dort gab es vielleicht mehr Fördergelder, bei uns gab es engagierte, anpackende Arbeitskräfte, Menschen, die ihr Schicksal in die Hand nahmen und nicht den Verlust von Arbeitsplätzen beklagten, sondern sich für neue Arbeitsplätze einsetzten“, betont Jansen.
  • Mehr Jobs als vorher Inzwischen gibt es in Hückelhoven 4000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als zur Zeit der Monostruktur. Vor kurzem wurde der zehntausendste Arbeitsplatz in der Stadt gezählt. Im Sog von QVC siedelten sich neue Unternehmen an. „Inzwischen haben wir einen Branchenmix, der bei Logistikern beginnt und bei High-Tech-Unternehmen nicht aufhört“, freut sich Jansen. Beim Blick auf die Gewerbesteuereinnahmen zeigt sich der Erfolg: Sie sind von 3,5 auf inzwischen 13,4 Millionen Euro gestiegen. „Wir können uns unsere Schulden locker leisten“, meint der Bürgermeister, der nicht müde wird zu betonen, dass weiter in die Stadt und die Infrastruktur investiert werden muss.
  • Aktive Wirtschaftsförderung Die junge, multikulturelle Stadt hat ihr Gesicht inzwischen sehr gewandelt. „Wir sind von der Zechenstadt zur Einkaufsstadt geworden“, sagt Jansen. Nach der Zechenschließung, die große, zentrumsnahe Freiflächen zur Folge hatte, startete die Stadt Hückelhoven eine besondere Offensive: „Wir haben alle großen Filialisten kontaktiert, die zwischen den Städten Mönchengladbach und Aachen einen Standort suchten.“ Und viele der Großen folgten dem Ruf nach Hückelhoven. Sie machen die Stadt zu einem großen Einkaufszentrum auf dem ehemaligen Zechengelände, das eine Besonderheit hat: „Die kostenfreien Parkplätze sind unser Alleinstellungsmerkmal.“ Die wichtigste Auswirkung: Früher blieben nur 70 Prozent der Kaufkraft in der Stadt Hückelhoven, heute werden 128 Prozent vermerkt. „Wir sind zu einer Stadt geworden, in der viele Auswärtigen zum Einkaufen kommen.“
  • Attraktiv für Neubürger Hückelhoven ist eine Stadt, die nicht nur wirtschaftlich wächst. 4000 Neubürger gibt es seit der Zechenschließung. Allein im Zentrum wurden 300 zusätzliche Mietwohnungen gebaut. Viele heimische und auswärtige Investoren haben die Stadt als Betätigungsfeld entdeckt. Aber das sind keine Gründe, die Hände in den Schoß zu legen. Eine große „Baustelle“ neben den vielen kleinen gibt es nach wie vor: Die moderne Kohlewäsche, die größte Halle in Nordrhein-Westfalen, wenn nicht sogar in Deutschland, steht seit der Schließung von Sophia-Jacoba leer. Hier sucht die Stadt schon seit über 20 Jahren nach sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten.
  • Stadt als Identifikation Ein Strukturwandel kann gelingen, das glaubt Jansen: „Wenn alle Bürger, alle Politiker, alle Investoren an einem Strang ziehen.“ Es müsse Einvernehmen und Transparenz herrschen. „Jeder macht mit beim Strukturwandel, wenn er sich mit seiner Stadt identifizieren kann.“ Der Wandel sei eine Chance – aber nur dann, wenn er als Gemeinschaftsprojekt erkannt und vollzogen werde. Schacht 3 ist – neben den Halden – nach wie vor das Symbol von Hückelhoven. Aber es ist nicht das für eine Vergangenheit als Zechenstadt, deren Verlust betrauert wird. Es ist ein Symbol dafür, wie aus der Tradition heraus neues Leben entwickelt werden kann.
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