Grevenbroich Ein Fest gegen das Alleinsein

Grevenbroich · In den Familien gibt es viele unterschiedliche Bräuche und Gewohnheiten, wie der heilige Abend gefeiert wird. In der Caritas-Beratungsstelle "Fakt" treffen sich die Ärmsten der Armen. Auch sie möchten Weihnachten spüren.

Heute ist Heiligabend: Viele gehen noch schnell zum Metzger, die letzten Geschenke kaufen oder zum Friseur, damit die Frisur sicher sitzt. Die weit verbreitete Ansicht: An Weihnachten muss alles perfekt sein.

Ganz anders geht es heute in der Caritas-Anlaufstelle "Fakt"zu. Hier muss niemand perfekt sein. Hier treffen sich Obdachlose, Drogenabhängige und Menschen mit anderen schwerwiegenden Problemen – die Ärmsten der Armen. Warum? Damit sie am Tag der Liebe nicht von der Einsamkeit zerrissen werden, damit sie ihre Schmerzen nicht mit noch mehr Alkohol oder anderen Drogen betäuben müssen und damit auch sie ein bisschen von dem spüren, was Weihnachten ausmacht: Heiterkeit, Geselligkeit, Geborgenheit. Oliver Joeres (47), Sozialarbeiter bei "Fakt", erzählt: "Diese Menschen wissen besonders heute nicht, was sie mit sich anstellen sollen. Bei uns fühlen sie sich wohl." Bereits gestern wurde in der Alten Molkerei zur großen Weihnachtsfeier geladen. Gemeinsam haben die Besucher Gemüse, Kartoffeln, Salate und Nachtisch zubereitet – der Festtagsbraten kam aus der Küche des Barbarahauses. Insgesamt 140 Menschen fanden den Weg in den liebevoll dekorierten Saal – seit Tagen hatten sich die Stammbesucher der Beratungsstelle um die Vorbereitungen gekümmert. Ein Weihnachtsbaum, Tischgestecke, besinnliche Musik und rustikale Biertisch-Garnituren.

Jakob Leusch (57) sagt, dass bei der Caritas jeder Mensch "Mensch sein" darf, dass er sich an Weihnachten nicht "besonders stark betrinken oder eine extra große Dosis Heroin zu sich nehmen muss", um den seelischen Schmerz zu verdrängen. Deshalb ist die Beratungsstelle auch heute wieder geöffnet: Vormittags – dann gibt es die Reste von gestern – und nachmittags mit einer großen Bergischen Kaffeetafel. Mit Waffeln und allem, was noch dazu gehört. "Wir öffnen heute für die ganz Einsamen", sagt Jakob Leusch: "Das sind oft Männer, die einmal eine Familie hatten, bei denen der Kontakt zu Frau und Kindern aber abgebrochen ist." Die Sozialarbeiter wissen, dass heute Erinnerungen an längst vergangene Zeiten hochkommen. Zeiten, in denen die Männer ihren Kindern dabei zusehen konnten, wie sie Geschenke auspackten, in denen sie noch ein Weihnachtsfest feiern konnten. Heute aber können sie ihren Kindern nichts mehr bieten – für viele wird der Heiligabend dann zum schlimmsten Tag im Jahr.

In der Caritas-Anlaufstelle gibt es einen Hauch von Weihnachtsduft, ein bisschen Miteinander. Auch für denjenigen, der "durchs letzte soziale Netz gefallen, aus jedem System herausgebrochen ist", sagt Joeres. "Caritas heißt Nächstenliebe", sind sich die Sozialarbeiter einig. Auch am Fest der Menschwerdung haben sie nur eines fest im Blick: den Menschen selbst.

(NGZ)
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