Grevenbroich "Die Grube ist ein Weltereignis"

Grevenbroich · Interview Schriftstellerin Ingrid Bachér stellte im "Museum der niederrheinischen Seele" ihr Buch "Die Grube" vor. Die Storm-Urenkelin erklärt, warum sie der Braunkohletagebau Garzweiler II empört.

 Ingrid Bachér las in der Villa Erckens aus "Die Grube", zudem stellte sie sich den Fragen von NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten und den der Zuhörer.

Ingrid Bachér las in der Villa Erckens aus "Die Grube", zudem stellte sie sich den Fragen von NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten und den der Zuhörer.

Foto: Berns

Garzweiler II ist ein Thema, das die Menschen bewegt - das zeigte einmal mehr das Gespräch auf dem blauen NGZ-Sofa zwischen Schriftstellerin Ingrid Bachér ("Die Grube") und NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten im "Museum der niederrheinischen Seele". Bachér hat zwei Fassungen ihres Romans geschrieben, intensiv recherchiert, ließ das Thema ruhen, bis 2011 ihr Roman erschien. Sie meint: "Man darf Menschen nicht entwurzeln, um Energie zu erzeugen." In einer lebhaften Diskussion mit den Zuhörern ging Bachér auch auf die Kritik ein. Der Vorwurf: Menschen, die heute in Garzweiler lebten, würden sich dort wohlfühlen. "Ich habe die Emotionen geschildert, so wie ich sie damals erlebt habe", so die Autorin.

Frau Bachér, wie sind Sie auf die Idee gekommen, "Die Grube" zu schreiben?

Ingrid Bachér Dass das ein Thema ist, habe ich sofort gedacht. Weil mich diese Vielfältigkeit — das Schicksal der Menschen, das Schicksal der Erde, die ja sehr fruchtbar ist, die Architektur, die Geschichte, die in der Erde wohnt — berührt hat.

Gab es einen Impuls, ein Aha-Erlebnis für Ihr Buch? Haben Sie am Rande der Grube gestanden, denn von der Autobahn aus sieht man sie ja so ohne weiteres nicht?

Bachér Das lockt je gerade, dass da etwas versteckt wird. Deswegen bin ich 1987 von der Autobahn abgefahren. So bin ich nach Garzweiler gekommen, fand diesen Ort wunderschön — vielleicht, weil er so stehen geblieben war und mich an meine Kindheit erinnert hat. Dann habe ich den Zettel gesehen "Letztes Schützenfest in Garzweiler".

Wann haben Sie das erste Mal an der Grube gestanden?

Bachér Das war an der Sophienhöhe. Aber damals konnte man ganz nah herangehen. Man saß auf der Wiese, konnte die Bagger beobachten. Das ist heute anders. Vor 25 Jahren habe ich das noch nicht so gesehen: die Ausmaße der Grube, das ist ja unfassbar, ein Weltereignis, wahrscheinlich das größte künstliche Erdloch, das je geschaffen wurde.

Wie ging es dann weiter?

Bachér Ich habe angefangen, in der Bürgerinitiative mitzumachen. Irgendwann hat mich ein Herr von Rheinbraun eingeladen, eine Führung mitzumachen. Das habe ich getan, ich habe mich in jede Richtung informiert. Später ist mit klar geworden, wie heiß die Diskussion damals wirklich war: Kommt Garzweiler II oder nicht. Man hatte alles sehr gut organisiert. Das war mir damals gar nicht so bewusst.

Waren Sie von Anfang an empört über den Tagebau und sein Folgen?

Bachér Ja, das wird man, wenn man die Landschaft sieht, die Häuser, die Kirchen. Ich bin ja ein Kriegskind, habe in Berlin Zerstörung miterlebt und das damals als Schicksal empfunden. Doch hier in einem friedlichen Land, da war das schon etwas anderes. Was mich so gewundert hat: Das Ganze passiert, wird aber nicht wahrgenommen. Es hat keine politische Wirkung gehabt — das ist so bedauerlich.

Sie haben ja auch in der Gegend gewohnt. Wie sah das aus?

Bachér Ich bin damals nach Holzweiler gezogen, habe für einige Wochen bei einer Bekannten gewohnt und geschrieben, am Alltag teilgenommen, Gespräche geführt. Ich habe vorher nie in einem Dorf gelebt, kannte nicht die dörflichen Strukturen. Und ich kann nur über das schreiben, was ich auch kenne. Für mich war diese Erfahrung wichtig. Ich habe mich um exakte Fakten, um Genauigkeit beim Schreiben bemüht. Ich wollte mir nicht sagen lassen, dass ich etwas falsch wiedergegeben habe. Gefreut hat mich die Reaktion eines Bekannten aus der Bürgerinitiative. Doch er hat mir bestätigt: Genau so war es, genau so habe ich damals empfunden.

Doch die Entscheidung für Garzweiler II war gefallen...

Bachér Ja, das habe ich auch sehr bedauert, dass ich mein Buch damals nicht schreiben konnte. Ich wurde nicht fertig mit dem Thema. Ich werde demnächst in der Lausitz lesen, dort, wo Vattenfall ein großes neues Gebiet erschließen will. Vielleicht ist da die Kampfstimmung noch vorhanden.

Welche Wirkung hat Ihr Buch jetzt gehabt?

Bachér RWE hat den Tagebau ja rechtlich abgesichert: Die Entscheidung wurde für einen Zeitraum von hundert Jahren getroffen. Bis 2045 wird abgebaggert, bis 2085 entsteht der große See. Bereits 1957 wurde schon der Tagebau Garzweiler I genehmigt. Der lange Zeitraum ließ den Widerstand ermüden.

Rheinbraun ist ja auch ein großer Arbeitgeber.

Bachér Ich erinnere mich noch gut an die Bergarbeiter mit Helm, die für ihre Jobs demonstriert haben: "Ihr nehmt uns unsere Arbeitsplätze weg." Dabei ging es gar nicht mehr um ihre Arbeit, die Entscheidungen wurden bis 2045 getroffen - damals von Menschen, die mit den Folgen selbst nicht viel zu tun hatten. Für Neu-Garzweiler war Peter Giesen ein Glücksfall, er hat etwa auch dafür gesorgt, dass es im Ort wieder eine Kirche gab. Die fehlen in anderen Umsiedlungsorten.

Daniela Buschkamp fasste das Gespräch zusammen.

(NGZ)
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