Historie Volksabstimmung für das Schützenfest

Grevenbroich · Vor 93 Jahren sollten die Kirmessen in der Region an zwei September-Wochenenden zusammengelegt werden. Dagegen regte sich Protest. In Grevenbroich wurde eine Volksabstimmung gestartet, 4000 Unterschriften wurden gesammelt.

 Parade auf der Breite Straße in den 1920er Jahren. Damals schloss sich der Bürgerschützenverein einer rheinischen Protestbewegungan. Die Brauchtumshüter waren gegen die Pläne, die Schützenfest-Termine zusammenzulegen.

Parade auf der Breite Straße in den 1920er Jahren. Damals schloss sich der Bürgerschützenverein einer rheinischen Protestbewegungan. Die Brauchtumshüter waren gegen die Pläne, die Schützenfest-Termine zusammenzulegen.

Foto: Stadtarchiv

Kaum war der Bürgerschützenverein nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1920 neu gegründet, erinnerte sich der Grevenbroicher Landrat an einen Beschluss des Provinzialrates. Der hatte im Kriegsjahr 1915 dafür gestimmt, alle Kirmessen im Kreis auf zwei September- Wochenenden zusammen zu legen. Denn der Reichshandelsminister hatte vorgerechnet, dass im Kammerbezirk von Mai bis November fast an jedem Sonntag Kirmessen stattfänden — an 271 Tagen. Die Feste im Kreis Grevenbroich wurden daher zusammengelegt.

Kurz nach dem Grevenbroicher Fest 1920 wurden die Bürgermeister an die Beschlusslage erinnert, der Oberpräsident der Rheinprovinz verbot sogar die Kirmes in Wevelinghoven für 1921. Auch Ratsbeschlüsse in Wevelinghoven und Grevenbroich für eine Beibehaltung der alten Kirmestermine nutzen nichts. Der Provinzialrat bestand auf die Zusammenlegung "mit allen Mitteln" der Staatsaufsicht. Nun übten die Bürgermeister einen Schulterschluss. Im "Rheinischen Hof" besprachen sie eine gemeinsame "größere Kundgebung", selbst eine Volksabstimmung wurde gestartet, binnen weniger Wochen wurden 4000 Unterschriften gesammelt.

Als 1921 die Kirmestermine im September näher rückten, beschloss die Bürgermeisterkonferenz, eine Deputation zum Oberpräsidenten nach Koblenz zu schicken und die Unterschriftenlisten zu übergeben. Erstaunlicherweise gab der Provinzialvertreter den Bürgermeistern Recht. Er empfahl eine Eingabe, dass eine Abhaltung der Kirmes an einem Termin wegen fehlender Musiker und Schausteller nicht möglich gewesen sei sowie aus Billigkeitsgründen eine Beibehaltung der Kirmestermine. Die Angelegenheit solle dann dem Provinzialrat neu vorgelegt werden. "Es wurde der Deputation also zu verstehen gegeben, man solle die Kirmes ruhig in althergebrachter Weise feiern, nur könne es nicht offiziell ohne vorherigen Beschluss des Provinzialrates gestattet werden", so der Deputationsbericht.

Auch habe der das Gespräch führende Oberpräsidialrat gebeten, ihn nicht "offiziell" zu erwähnen. Es sollte also eine "rheinische Lösung" gefunden werden.

Der Wevelinghovener Bürgermeister als Vorsitzender der Bürgermeisterkonferenz wählte dann eine Vorgehensweise, die die vermeintlich dramatischen Folgen einer Zusammenlegung noch deutlicher aufzeigen sollte. Obwohl man in dem Wissen um das Gesprächsergebnis bei der Provinzialbehörde in Wirklichkeit keinerlei Anstalten getroffen hatte, die Kirmestermine zusammenzulegen, wurde das Schreiben so aufgesetzt, als hätten die Bürgermeister von Elsen, Wevelinghoven, Garzweiler, Evinghoven, Hülchrath, Hemmerden und Bedburdyck dem Beschluss folgen und die Kirmessen ebenfalls an diesem Wochenende abhalten wollen. Lediglich die Folgen der Zusammenlegung hätten dies verhindert: "Naturgemäß haben die Kirmesschausteller sämtlich den Hauptort des Kreises aufgesucht, ebenso wie die zur Abhaltung der Kirmesbälle erforderlichen Musikkapellen nach Grevenbroich gekommen sind, während die übrigen Gemeinden leer ausgegangen sind, da weder genügend Schausteller noch Musiker in der näheren und weiteren Umgebung vorhanden sind." Die Kirmessen in allen anderen Gemeinden seien ausgefallen, deshalb bitte die Konferenz um eine übergangsweise Duldung der althergebrachten Termine — eine Bitte, der der Landrat entsprach.

Die anstehenden Kirmessen für 1921 waren gerettet. Im Herbst wandte sich auch der Kreistag an den Provinzialrat mit der Bitte um unbefristete Beibehaltung der alten Kirmestermine. Hatte dieser gegen die von Bürgermeistern und Landrat gefundene "rheinische Lösung" nichts unternehmen können, da ja selbst der Oberpräsident ein Auge zugedrückt hatte, blieb der Provinzialrat jedoch unerbittlich. Die durch "öffentliche Vergnügungen" gefährdete Arbeitsmoral sowie die "Erziehung der Jugend zu sittlichem Ernst" mussten wieder einmal herhalten.

Erneut regte sich eine Welle des Protestes. Im ganzen Rheinland fand man zu Beginn des Jahres 1922 Verbündete, die in einer "Vereinigung zur Erhaltung der rheinischen Volksfeste und Gebräuche" gipfelten, der auch der BSV Grevenbroich beitrat. Im April 1922 gab es sogar eine Eingabe an den Reichskanzler. Sie brachte die Stimmung im Rheinland auf den Punkt: "Wir hoffen, dass der Herr Reichskanzler die nachgeordneten Dienststellen anweist, den Rheinländern die Volksfeste zu lassen. Diese Volksfeste wurzeln tief in der Seele eines jeden geborenen Rheinländers.

Ein Nicht-Rheinländer, gleich ob es ein nach dem Rheinlande verpflanzter Beamter oder Angestellter ist, versteht sich eben nicht, in die Seele eines Rheinländers hinein zu denken. Denn rheinisch ist der rheinische Humor und Familiensinn und dieser ist besonders zu finden in den Volksfesten, das sind die Kirmessen. Dieses lassen wir Rheinländer uns aber nicht nehmen." Wer mochte einem solchen Bekenntnis etwas entgegen zu setzen?

Der Provinzialrat nahm dann auch im August 1922 seinen Beschluss über die Zusammenlegung der Kirmessen zurück. Die alten Kirmestermine blieben bestehen.

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