Grevenbroich Als zehn Karussellfahrten ein Ei kosteten

Grevenbroich · Während des Ersten Weltkriegs wurden die Kirmessen im Grevenbroicher Stadtgebiet abgesagt. Erst im September 1918 gab es wieder ein Fest in bescheidenem Umfang – mit Schiffschaukel, Luftkarussell und einem "bunten Abend".

 Kirmes-Anzeige in der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1918.

Kirmes-Anzeige in der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1918.

Foto: Archiv Familie Herlitz

Während des Ersten Weltkriegs wurden die Kirmessen im Grevenbroicher Stadtgebiet abgesagt. Erst im September 1918 gab es wieder ein Fest in bescheidenem Umfang — mit Schiffschaukel, Luftkarussell und einem "bunten Abend".

 Kirmes-Anzeige in der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1918.

Kirmes-Anzeige in der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1918.

Foto: nn

Im Mai beginnt wieder die Kirmeszeit, die trotz jahrhundertealter Tradition in Kriegszeiten immer gefährdet war. Mit dem "großen Krieg" 1914 gelang dem Provinzialrat der Rheinprovinz Anfang 1915 endlich das lang verfolgte Ziel einer Zusammenlegung der Kirmessen. Im Kreis Grevenbroich sollten am ersten September-Wochenende die nördlichen (Elsen, Wevelinghoven, Garzweiler und Grevenbroich), am letzten die südlichen Bezirke (Evinghoven, Hülchrath, Hemmerden und Bedburdyck) gemeinsam feiern.

Doch Kirmessen fanden seit den Kriegsausbruch 1914 nicht mehr statt. Ein Jahr danach versprach nur noch ein Gastspiel des Zauberers "Bellachini" in der Gaststätte Rheinischer Hof "einige Stunden im Reich der Märchen und Wunder", 1916 bot das Lichtspielhaus Grevenbroich zum alten Kirmestermin das "lang erwartete Kriegsschauspiel ,Mit Herz und Hand fürs Vaterland'" und ein "feldgraues" Lustspiel.

Die Kirmessen waren abgeschafft, auch den Militärs widersprachen Kirmesattraktionen. "Geräuschvolle Lustbarkeiten" von Schiffschaukeln wurden aus Sicherheitsgründen und als "Anziehungspunkt zweifelhafter, leichtfertiger Elemente" untersagt — dies sei "mit dem Ernste der gegenwärtigen Zeit" nicht in Einklang zu bringen. Doch an ein generelles Verbotder Jahrmärkte traute sich keine Behörde. Sie wurden in den Marktverzeichnissen veröffentlicht, ohne aber wirklich stattzufinden.

Angereisten Schaustellern entstanden oft große Schäden — selbst ein Appell des Reichsverbandes reisender Gewerbetreibende fruchtete nichts. Erst zum Kriegsende änderte sich die Einstellung der Behörden. Dem Siegesrausch der ersten Tage war längst der zermürbende Stellungskrieg gewichen.

Nun nutzten die Militärs die alten Volksbelustigungen für ihre Zwecke. "Tausende von Männern, Frauen und Mädchen arbeiten Tag für Tag, ohne durch Vergnügungen oder Zerstreuung die täglichen Entbehrungen und Nöte unserer Zeit zu vergessen, sich vor inniger Abstumpfung zu bewahren", so die Kriegsamtsstelle in Koblenz. Abhilfe sollte ein "Wanderkino" schaffen. Auch sonst sollten jetzt nicht alle Vergnügungen verboten werden. Die "schwere Zeit" verlange, "dem Geist andere Gedanken als nur Kriegssorgen zuzuführen".

Doch noch im Juli 1918 lehnte die Stadt — natürlich dem "Ernst der Zeit entsprechend" — eine Schaustelleranfrage ab, zur Herbstkirmes für Jugendliche Übungsschießen, Ring- und Ballsport anzubieten. Dennoch kam es zum Gesinnungswandel in den Amtsstuben.

War er der Ablenkung erster Gerüchte einer Frontrückverlegung, ja einer Besetzung Grevenbroichs geschuldet? Vielleicht aber auch Otto Niermann als Schulrektor und Vorsitzenden der Kriegsbeschädigten-Ortsgruppe? Er organisierte am ersten Septembersonntag 1918 einen "bunten Abend" mit "Konzert, kleinen Theateraufführungen, lustigen und ernsten Vorträgen" — Grundstein für die nicht vergessene Kirmes, auf der dann auch "Schiffschaukel, Luftkarussell und Pavillon" ihren Platz fanden.

Die Grevenbroicher sahen erstmalig seit Kriegsbeginn wieder so etwas wie eine Kirmes, wenn auch in ganz bescheidenem Umfang. Die größte Anziehungskraft auf die Kinder übte selbstverständlich das Karussell aus. Statt barem Geld dienten damals auch Naturalien als Fahrgeld: Zehn Fahrten waren für ein Ei zu bekommen. Freifahrten, die sich über einen ganzen Tag zogen, kosteten ein Pfund Butter. Nicht ohne dass der Landrat die Beachtung des Provinzialratsbeschlusses von 1915 in Erinnerung rief — doch erst nach dem Krieg und nach Neu-Gründung der Schützenvereine führte dies zu einem wahren Volksbegehren gegen diese Beschlusslage. Doch dies ist eine andere, eine Nachkriegsgeschichte.

Der Autor Ulrich Herlitz ist Mitglied des Grevenbroicher Geschichtsvereins.

(NGZ)
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