Ehemalige Reichsaldkaserne Die letzten Tage der „Kaserneneinfahrt“

Goch · Container und große Müllsäcke künden vom bevorstehenden Abriss. Das alte Wachgebäude der Gocher Kaserne, die längst Wohngebiet ist, wird in Kürze abgerissen. Ein pensionierter Soldat erinnert sich.

 Vor zehn Jahren sahen sich frühere Soldaten, unter ihnen Willi Arians (Mitte), die Abbrucharbeiten auf dem Kasernengelände an.

Vor zehn Jahren sahen sich frühere Soldaten, unter ihnen Willi Arians (Mitte), die Abbrucharbeiten auf dem Kasernengelände an.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Schon vor zehn Jahren stand das Unkraut meterhoch, Müll sammelte sich an, bald wurden Fenster eingeworfen und ungebetene Gäste verschafften sich Zugang. Abgerissen wurde das Gebäude dennoch nicht, denn eigentlich hatte man es erhalten wollen. Da aber keine passende Nachfolgenutzung gefunden wurde, blieb es beim dauerhaften Dornröschenschlaf. Und irgendwann wurde beschlossen, das Wachgebäude der ehemaligen Reichwaldkaserne wie fast alle übrigen verbliebenen Immobilien der Liegenschaft aufzugeben. Wie Stadtsprecher Torsten Matenaers der Rheinischen Post auf Anfrage bestätigte, wird es in Kürze abgerissen. Das Tiefbauunternehmen Siebers, das mit den Vorbereitungen für den letzten Teil des Baugebiets Neu-See-Land beschäftigt ist, hat dort schon Container aufgestellt und lässt das frühere Wachgebäude bereits ausräumen.

Jahrzehntelang haben Gäste, wenn sie einen Anlass hatten, die Kaserne zu besuchen, sich dort tief in die Augen blicken lassen und ihren Personalausweis abgegeben. Aufs Gelände kam nur, wer registriert war und ein Anliegen hatte. Herumspazieren, wie es heute an gleicher Stelle sehr beliebt ist, war unmöglich, schließlich ist eine Kaserne militärisches Sicherheitsgebiet. Die Hecke, die den hohen Stacheldrahtzaun kaschierte, steht entlang der Pfalzdorfer Straße noch immer – neuerdings gestutzt – , einst patrouillierten dort Soldaten mit scharfen Hunden. Inzwischen handelt es sich bei der 27 Hektar großen Fläche zwischen Pfalzdorfer Straße und Emmericher Weg um das große Baugebiet Neu-See-Land, das in mehreren Abschnitten erschlossen wurde, schon weitgehend bebaut ist und dessen künstlicher See zu einem Ausflugsgebiet geworden ist.

Einer, der sich an das Gelände noch aus einer anderen Zeit erinnern kann, ist Willi Arians. Der Gocher hat praktisch sein gesamtes Berufsleben in der Reichswaldkaserne verbracht. 32 Jahre lang war er dort Soldat, fuhr mit dem Fahrrad in Uniform Tag für Tag zur Pfalzdorfer Straße. Wohl kaum jemand kannte die Liegenschaft so gut wie Arians. Als Spieß und Kompaniefeldwebel war er Leiter des Unteroffizierskorps, eine Art Innendienstler, wurde nie versetzt und in kein Manöver geschickt. Arians, lange Jahre für die CDU im Gocher Rat, ist froh darüber, dass eine gute Verwendung für die riesige Fläche gefunden wurde, aber er findet gar nicht gut, dass kaum eine optische Erinnerung bleiben wird. „Ich kann das nicht nachvollziehen. Das Wachdienstgebäude hatte eine hohe symbolische Bedeutung für Hunderte Soldaten und zivile Beschäftigung, aber auch für alle anderen Gocher.“ Im März 2013 war er gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Oberst a.D. Lambert Engelberts und Heribert Hardebusch, einst stellvertretender Regimentskommandeur, mit der RP über das verschneite Gelände spaziert und hatte Abschied genommen. Der Anblick der Abbrucharbeiten hatte die Männer emotional sichtlich berührt.

Das ist nun zehn Jahre her, in den alten Werkstätten ist ein Jugendzentrum untergebracht, die Ballonhalle, aus der einst Ballons emporstiegen, um Wetterdaten zu erfassen, soll zum Kunstwerk werden. Das Geld dafür und für weitere künstlerische Akzente soll aus dem Erlös des Grundstücksverkaufs kommen, hatte Stephan Mann, Chef der KulTOURbühne, dem Rat vor zwei Jahren erläutert. Die Ein- und Ausfahrt der Kaserne jedoch wird bald vergessen sein. Arians erzählt: „An der Kontrollstelle musste jeder, der hineinwollte, einen Truppen- oder Dienstausweis vorzeigen, gegen Vorlage des Ausweises gab es einen Besucherausweis. Im Wachgebäude waren mehrere Arrestzellen untergebracht, in die man geraten konnte, wenn der Kompaniechef Disziplinarstrafen verhängte.“ Zuviel Alkohol und in der Folge Randale waren wohl die häufigsten Anlässe. Schwerere Fälle mussten nach Emmerich. „Das war uns immer lieber, dann brauchte man nicht Aufsicht führen, den Delinquenten beim Hofgang begleiten oder die Toiletten säubern.“

 Die bunten Figuren weisen den Weg zum Jugendzentrum Astra, das nahe am ehemaligen Kasernentor liegt. Das efeubewachsene frühere Wachgebäude, in dem es auch Arresträume gab, wird bald abgerissen.

Die bunten Figuren weisen den Weg zum Jugendzentrum Astra, das nahe am ehemaligen Kasernentor liegt. Das efeubewachsene frühere Wachgebäude, in dem es auch Arresträume gab, wird bald abgerissen.

Foto: Anja Settnik

Arians weiß noch, dass die Flaggen, die zu verschiedenen Anlässen gehisst wurden, im Wachgebäude aufbewahrt wurden und hat noch gute Erinnerung an den Friseur, der dort seinem Handwerk nachging. „Der war sehr günstig und es war ein kurzer Weg, da nach dem Dienst eben reinzugehen.“ Mancher wurde allerdings mit leichtem Druck zum Standortfriseur geschoben, um Ohren und Augen freizuschneiden. Denn 1972 hatte Helmut Schmidt den „Haar- und Barterlass der Bundeswehr“, der ein Jahr lang Soldaten langes Haar tragen und mit Haarnetzen experimentieren ließ, wieder zurückgenommen. Glück für den Friseur.

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