Karneval 2019 in Keppeln Mittendrin statt nur dabei

Keppeln · 44 Wagen und Fußgruppen sind Rosenmontag durch Keppeln gezogen. Eine davon ist die Gruppe Märchenwald als „Unterwasserwelt“. Ist das Motto Programm? Die Sturmwarnung hat jedenfalls nicht nur ihre Zeitplanung durcheinander gewirbelt. Eine Reportage.

Bilder vom Rosenmontagszug 2020 in Keppeln
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Das war der Rosenmontagszug 2020 in Keppeln

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Foto: Evers, Gottfried (eve)

„Und abends fällt man hundemüde, aber glücklich ins Bett und freut sich schon aufs nächste Jahr. Nur am Rand stehen, ist definitiv keine Option.“

Irene (36) aus Keppeln

 Die Frauen vom Totenhügel sind seit 40 Jahren beim Keppelner Rosenmontagszug dabei.

Die Frauen vom Totenhügel sind seit 40 Jahren beim Keppelner Rosenmontagszug dabei.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Rosenmontag, 7.30 Uhr: Normalerweise wären wir jetzt bei Irene. Normalerweise. Wenn nicht Christian Breuer, Pressesprecher der Keppelner Karnevalsgesellschaft Queekespiere, am Sonntagabend unseren Zeitplan komplett durcheinander gewirbelt hätte. Um 17.42 Uhr schrieb er via WhatsApp: „Wegen einer Sturmwarnung fängt der Rosenmontagszug in Keppeln später an. Der Zug beginnt um 13 Uhr an der Rickenstraße. „Das bringt gerade alles durcheinander“, lautet Annes erste Reaktion. Ihre zweite: „Dann können wir uns ja stressfrei treffen.“

Wir, das ist die Karnevalsgruppe „Märchenwald“. Ein Zusammenschluss von 15 Frauen zwischen 33 und 40 Jahren. Die meisten von uns kommen aus Uedem oder Keppeln, sind vorher schon mit der Garde oder mit der Landjugend mitgezogen. Der Rest hat irgendeine Verbindung zu Keppeln. Seit elf Jahren laufen wir als Fußgruppe im Rosenmontagszug von Keppeln mit.

 Ines Schmuck und Sabine Leitung vom Team Rennpappe.

Ines Schmuck und Sabine Leitung vom Team Rennpappe.

Foto: Julia Lörcks

Angefangen hat alles im Jahr 2008 als „Gruppe Ingenerf“, als „Rotkäppchen“ verkleidet. Danach sind wir als „Gestiefelter Kater“, „Goldmarie“ und „Kleiner Muck“ durch die Keppelner Straßen gezogen. In dieser Zeit ist auch irgendwann die Namensänderung in „Märchenwald“ erfolgt. Ein Märchen werden wir allerdings – mangels Idee und Umsetzung – schon lange nicht mehr. Mit das schönste Kostüm: die Raupe Nimmersatt im Jahr 2014. Diesmal sind wir eine Unterwasserwelt – ein schwieriges Unterfangen.

Rückblick: Am 22. Juni hat Vera in unsere WhatsApp-Gruppe „Karneval 04.03.2019“ geschrieben: „Guten Morgen ihr Lieben, haben wir eigentlich schon Vorschläge fürs nächste Jahr?“ Zweieinhalb Monate später sind zwar zwei Babys mehr auf der Welt, aber eine Antwort hat es immer noch nicht gegeben. Erneuter Versuch am 7. September, Vera: „Wollen wir uns mal treffen?“ Und hat gleich zwei Fotos hinterher geschickt – eine Gruppe Seepferdchen und zwei Clowns. „Das Seepferdchen würde ich sofort nehmen“ und „Da muss man auch nicht so viel nähen“ sind die ersten Reaktionen. Weil die meisten mittlerweile Mutter und/oder berufstätig sind, ist Zeit ein knappes Gut. Um uns Arbeit zu ersparen, soll in diesem Jahr der Großteil des Kostüms gekauft werden. Geklappt hat das – wenig Arbeit und so – natürlich nicht. Das erste Treffen hat am 2. Oktober stattgefunden, seit Mitte Oktober steht das Handy nicht mehr still. Leggings, Kleid, Haarschmuck, Schminke – Abstimmungen über WhatApp machen das Leben nicht leichter.

 Auch nicht schlecht: Die Tackerfreunde aus Keppeln sind als Mario Kart verkleidet.

Auch nicht schlecht: Die Tackerfreunde aus Keppeln sind als Mario Kart verkleidet.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Seit Sonntag hat unser Thema plötzlich eine ganz neue Dimension bekommen. „Unterwasserwelt“, das Motto ist hoffentlich in diesem Jahr nicht Programm. Bisher wurde nur einmal in der Geschichte des Keppelner Karnevals das närrische Treiben im Dorf abgesagt. Das war 1991 wegen des Irak-Krieges. „Ein Jahr später, also 1992, war es am Rosenmontag so stürmisch, dass der Zug auf das folgende Wochenende verschoben werden musste“, berichtet Breuer. Vor drei Jahren, als die Züge in Köln und Düsseldorf, aber auch in Kleve ausgefallen sind und später nachgeholt wurden, zog Keppeln planmäßig um 10.30 Uhr. 2019 nun also ein späterer Beginn. Hobby-Meteorologe Hubert Rayers (www.wetter-niederrhein.de) verspricht von 13 Uhr an Besserung.

6.49 Uhr: Die erste Nachricht des Tages in unserer Gruppe stammt von Irene: „Da können wir echt nur hoffen, dass die Wettergötter rechtbehalten und es heute Mittag aufhört.“ Eine Dreiviertelstunde sind alle schon etwas optimistischer gestimmt: Anne sendet ein Foto vom Totenhügel in Keppeln: blauer Himmel am Horizont. Aufatmen, Daumen drücken ist von jetzt an angesagt.

 Unsere Autorin  Julia Lörcks  ist stellvertretende Leitende Regionalredakteurin und Mitglied in der Gruppe Märchenwald.

Unsere Autorin Julia Lörcks ist stellvertretende Leitende Regionalredakteurin und Mitglied in der Gruppe Märchenwald.

Foto: Julia Lörcks

10.30 Uhr: Mittlerweile sind alle Mehrjungfrauen ohne Flossen beisammen. Wir treffen uns in diesem Jahr bei Irene. Freiwillig hat sie ihr Wohnzimmer, ihre Küche und ihre Gästetoilette nicht hergegeben. Kein Wunder: Zwei Stunden später wird alles voller Glitzer sein. Halb leergetrunkene Sektflaschen und Gläser werden umherstehen, Taschen liegen, Schminke stehen gelassen. „Ich bin wohl mal wieder dran“, hat Irene vor zwei Wochen mit einem müden Lächeln gesagt. Ihr Mann ist einverstanden, er hat an diesem Morgen die Flucht ergriffen. Die Schminkgruppe läuft auf Hochtouren. Nagellack, Wimpern, Schuppen und ganz viel Glitzer im Gesicht – weil das Kostüm nicht alle zu 100 Prozent überzeugt, soll es der Kopf rausreißen: blaue Langhaarperücke, opulenter Haarschmuck, aufwändige Maske. Unser Ziel wie in jedem Jahr: zu den drei schönsten Fußgruppen zu gehören. Das ist es auch, was den Keppelner Rosenmontagszug Jahr für Jahr ausmacht. Vera (36): „Die einzelnen Gruppen geben sich bei den Kostümen und Wagen alle sehr viel Mühe.“ Neidlos werden wir später anerkennen: Die Wikinger der Kalkarer Rennpappe, die seit sechs Jahren in Keppeln mitlaufen („Wir sind Keppeln-Fans, die Stimmung hier ist super, der Zug sehr familiär“) sehen super aus. Die Mario Karts der Keppelner Tackerfreunde sind aber auch nicht schlecht

Der Rosenmontagszug in Keppeln ist jedoch weit mehr als nur eine Kostümparty. Keppeln ist klein, hat aber Tradition. Lars Angenendt von der ausrichtenden Karnevalsgesellschaft Queekespiere sagt es so: „Ich mag die heimelige Atmosphäre in dem kleinen Dorf, durch das der Zug sogar zweimal fährt, weil er sonst zu schnell vorbei wäre.“

In der Tat: Etwa 1500 Seelen leben in dem Uedemer Ortsteil. Zu Rosenmontag vermehrt sich die Einwohnerzahl Jahr für Jahr um ein Vielfaches. Die Polizei wird später auf Anfrage unserer Redaktion sagen: 4000 Besucher sind vor Ort gewesen, etwa 1000 weniger als in den Jahren zuvor. „Das hängt aber auch mit dem späteren Beginn des Zuges zusammen. Viele Besucher gehen traditionell zuerst nach Keppeln und dann nach Goch. In diesem Jahr ist das kaum möglich“, sagt der Polizeisprecher. Aus diesem Grund hat auch ein Wagen seine Teilnahme in Keppeln abgesagt: die Landjugend aus Hommersum. Vorgefallen ist bis zum Ende des Zuges nichts, die Polizei ist sehr zufrieden.

Der Keppelner Rosenmontagszug hat übrigens eine lange Tradition. 1951 hat alles begonnen. „Damals gab es einen Kinderkarnevalszug, der erste offizielle Rosenmontagszug wurde 1965 mit rund 1000 Teilnehmern ausgerichtet“, berichtet Christian Breuer. Bereits seit 1970 sind die Männer vom Totenhügel dabei, die in diesem Jahr den „Wolf“ zum Thema haben. Ihre Frauen, die Damen vom Totenhügel, feiern 2019 ihr 40. Bestehen. „Wir sind damals aus einem Kegelclub hervorgegangen“, sagt Barbara Hunzelaer. Sie ist von Anfang an dabei, schätzt die Stimmung und die Menschen in Keppeln. „Das ist ein feiner Zug hier.“

13 Uhr: Der Zug beginnt. Die Aufregung steigt. Unser Wagen – beklebt mit einer Fototapete, Netz und drei Kugelfischen – ist randvoll mit Süßigkeiten. Auch weil, wir in diesem Jahr bei mindestens drei Gewinnspielen gewonnen haben. Die Taschen sind gefüllt, eine Runde Klopfer, dann reihen wir uns ein. Vor uns fährt der Wagen des Männerballetts Appeldorn, aus den Boxen dröhnt „Cordula Grün“, springende Pippi Langstrümpfe stehen oben drauf. Hinter uns sind die Rosenhofknaben aus Keppeln. Ihr Motto: „Tu ma Kassette.“ Kein Problem: Zu unseren Gewinnen gehören auch Bibi-Blocksberg-Kasetten.

 Die Zugleitung heute: Zum Start des Keppelner Rosenmontagszuges begrüßt Queekespiere-Vorsitzende Steffi Neu auf dem Wagen die Narren.

Die Zugleitung heute: Zum Start des Keppelner Rosenmontagszuges begrüßt Queekespiere-Vorsitzende Steffi Neu auf dem Wagen die Narren.

Foto: Evers, Gottfried (eve)
 Die Zugleitung im Jahr 1970: Damals mussten die Fahrzeuge noch nicht verkleidet werden.

Die Zugleitung im Jahr 1970: Damals mussten die Fahrzeuge noch nicht verkleidet werden.

Foto: Julia Lörcks
 Der Hein-Duck-Dich-Club belegt Platz 1 bei den Wagen.

Der Hein-Duck-Dich-Club belegt Platz 1 bei den Wagen.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Insgesamt ziehen 44 Wagen und Fußgruppen durchs Dorf, werfen Kamelle, bützen und stoßen mit den Besuchern an. „Karneval ist wie Kirmes. Das ganze Dorf ist unterwegs und feiert im Anschluss noch weiter“, sagt Vera. Und zwar auf dem Platz vor der Bürgerbegegnungsstätte in Keppeln. Dort fährt um 15.20 Uhr der letzte Wagen des Zuges vor. Traditionell beschließt der Bus des Hein-Duck-Dich-Clubs („Lego“) den Zug. 40 Minuten später wird durchgegebn, dass dieser Wagen auch den ersten Platz belegt hat. Die schönste Fußgruppe – wir haben es alle nicht erwartet – sind wir, die Gruppe Märchenwald als Unterwasserwelt. Helau.

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