Modernstes Klärwerk Europas geplant Plastik und Medikamente belasten die Niers

Prof. Dietmar Schitthelm, Vorstand des Niersverbandes, schildert Fortschritte und ungelöste Probleme des Flusses.

 Im Bresgespark will der Niersverband den Fluss renaturieren. Er soll in Schleifen fließen. Dadurch wird er ein ganzes Stück länger, und er wird langsamer fließen.

Im Bresgespark will der Niersverband den Fluss renaturieren. Er soll in Schleifen fließen. Dadurch wird er ein ganzes Stück länger, und er wird langsamer fließen.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Vor zwei Wochen hat ein Unfall jede Menge Diesel in die Niers gespült. Wie groß ist der Schaden?

Schitthelm Wir können den Schaden nicht beziffern, aber es ist nicht zu einem großen Fischsterben gekommen. Die Feuerwehr hat sehr gut gearbeitet, und wir können davon ausgehen, dass es auch keine langfristigen Schäden gibt. Allerdings hat mich sehr irritiert, dass der Diesel überhaupt in die Niers gelangt ist. Bei jeder übergeordneten Straße wie es auch die A61 ist, ist für Kanäle vor der Einleitung in ein Gewässer ein Leichtflüssigkeitsabscheider vorgeschrieben. Hätte es den gegeben, wäre der Diesel nie bis in die Niers gelangt. Aber dieses Stück Autobahn ist schon recht alt und vermutlich waren beim Bau die  Rahmenbedingungen noch anders.

Hat der Fluss den trockenen Sommer 2018 überstanden?

Schitthelm Ja, und zwar weil es glücklicherweise kein Starkregenereignis gab. Mönchengladbach hat ein gut ausgebautes Kanalnetz mit einem großen Querschnitt. In Trockenperioden mit wenig Wasser bleiben Feststoffe liegen, größtenteils menschliche Ausscheidungen. Wir nennen das Sielhaut. Wenn es dann extreme Gewitter gibt wie 2010, löst sich die Sielhaut und wird an der Kläranlage vorbei in die Niers geschwemmt. 2010 gab es deshalb ein großes Fischsterben bis nach Grefrath. Im letzten Sommer ist das erfreulicherweise nicht passiert. Mischwasserabschläge nach langer Trockenheit sind für einen Flachlandfluss eine Katastrophe.

Wie gut ist die Wasserqualität der Niers?

Schitthelm Die Wasserqualität hat sich sehr verbessert. 1975 war die Niers ein toter Fluss. Als Schüler habe ich den Fluss zwei Mal täglich überquert, jedes Mal hatte er eine andere Farbe, mal rot, mal blau, je nachdem, welche Textilfirma ihre Farbstoffe eingeleitet hat. Das ist lange vorbei. Wir haben viele Maßnahmen ergriffen und die Wasserqualität entwickelt sich positiv. Auch der Fischbestand. Die Niers ist wieder ein fischreicher Fluss.

Was hat zu dem  Erfolg geführt?

Schitthelm In den letzten Jahren war die naturnahe Umgestaltung der Niers besonders wichtig. Damit sind wir aber noch lange nicht am Ende. Auf Mönchengladbacher Gebiet steht jetzt der Bresgespark an. Wir sind lange mit der Idee schwanger gegangen, jetzt sind wir guter Hoffnung, dass es zur Geburt kommt.

Was ist im Bresgespark geplant?

Schitthelm Die Niers ist dort in einem desolaten Zustand, weil sie ein Fließgewässer ist, das nicht fließen kann. Zwei Wehre führen zu einer Aufstauung des Wassers. Wenn wir die Wehre einfach entfernen würden, wäre aber das Gefälle zu groß. Deshalb soll der Fluss dort in Zukunft wieder mäandern. Die jetzige Länge von 1000 Metern wird nach der Umgestaltung durch die Schleifen auf 2800 Meter angewachsen sein. Der Fluss fließt dadurch deutlich langsamer, das wird sehr positive Effekte haben.

Wann geht es los?

Schitthelm Mein Traum ist es, bevor ich im Frühjahr 2021 in Ruhestand gehe, mit dem Gladbacher Oberbürgermeister den ersten Spatenstich zu tun. Mit Vorarbeiten haben wir schon begonnen, denn wir haben auch schon die notwendigen Grundstücke erworben. Wir haben schon einige Bäume gefällt, um zu verhindern, dass Äste auf Spaziergänger fallen. Wir werden aber nicht alle Bäume entfernen, sondern auf den natürlichen Prozess setzen. Die Bäume, denen die Bedingungen in einem Auenwald nicht gefallen, werden von allein verschwinden. Wir wollen aber entlang des neuen Niersverlaufes eine Initialpflanzung mit Erlen vornehmen, deren Wurzeln das Ufer befestigen werden.

Die Maßnahme ist aufwändig.

Schitthelm Ja, sie wird zwischen sieben und acht Millionen Euro kosten.

Nicht nur in Mönchengladbach wird die Niers renaturiert.

Schitthelm Von den mehr als 100 Kilometern des Flusslaufs werden 70 Prozent umgestaltet. In Gladbach wächst die Niers damit um etwa zwei bis drei Kilometer, insgesamt von 108 auf etwa 116 Kilometer.

Stellen Sie damit den historischen Verlauf der Niers wieder her?

Schitthelm Wo genau der historische Verlauf war, ist nicht immer klar. Es gibt Zeichnungen, aber sie sind nicht lagegerecht. Als Wasserwirtschaft sind wir immer der Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Der Niersverband wurde gegründet, weil die Niers ein stinkendes Gewässer war. Die Begradigung der Niers sollte bewirken, dass die Schlämme schneller abtransportiert werden, Das hat auch funktioniert. Dafür war die Niers 1975 tot. Seit Herstellung der Kanalisation Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung der Menschen um 20 Jahre erhöht, die Gewässer aber mit dem Dreck aus den Ortschaften belastet. Jetzt sind wir dabei, diese Folgen zu reparieren.

Wie sieht es mit dem Klimawandel aus? Verträgt der Fluss die Trockenheit und steigende Temperaturen?

Schitthelm Im vergangenen Sommer hatte die Niers die niedrigsten Abflüsse überhaupt, selbst Paddelboote haben aufgesetzt. Aber es hat ihr nicht geschadet. Allerdings ist die Wassertemperatur noch zu hoch. Sie liegt im Sommer bei 26 Grad und mehr. Das kommt daher, dass es zu wenig Schatten gibt. Wir müssten mehr Bäume und Büsche pflanzen, aber dafür brauchen wir Platz. Zwei bis vier Grad kälteres Wasser wäre besser.

Sehen Sie sonst Anzeichen für den Klimawandel?

Schitthelm Der Klimawandel lässt sich nachweisen. Die Lufttemperatur ist seit 1880 durchschnittlich um 1,75 Grad gestiegen, die Starkregenereignisse häufen sich. Wir hatten in den letzten 10 Jahren vier Ereignisse, die nur alle 100 Jahre auftreten sollten, zwei, die nur alle 5000 Jahre auftreten. In der Region um  Sonsbeck fielen 2016 in 24 Stunden 120 Liter Regen pro Quadratmeter. So etwas sollte sogar nur alle 10.000 Jahre auftreten. Wenn es in Mönchengladbach so geregnet hätte, hätte die Niersniederung bis zur holländischen Grenze unter Wasser gestanden.

Die Niers lebt wieder. Welche Tierarten finden Sie vor?

Schitthelm Es gibt wieder 32 Fischarten und über 300 Arten von Kleinlebewesen, deren Zahl sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt hat. Das ist sehr ungewöhnlich und erfreulich. Auch der Aal hat sich wieder etabliert. Es gibt einen Besatz mit Aalen, weil sie nicht mehr durch das Sperrwerk bei Rotterdam kommen. Wir können nachweisen, dass sie jetzt wieder in allen Altersstufen in der Niers leben.

Ein weniger erfreuliches Thema sind die Medikamentenrückstände und chemischen Belastungen.

Schitthelm Wir finden Rückstände von Diclofenac, Ibuprofen, von  Stimmungsaufhellern,  aber auch von Pestiziden. Außerdem gibt es Mikroplastik und multirestistente Keime im Wasser, um die wir uns kümmern müssen.

Lässt sich das herausfiltern?

Schitthelm Bei Ibuprofen können wir heute schon 60 Prozent herausfiltern, bei Diclofenac sind es nur 25 Prozent. Für eine verbesserte Reinigung brauchen wir eine vierte Reinigungsstufe bei den Kläranlagen. Um auch multiresistente Keime und Mikroplastik herausholen zu können, planen wir an der Nette das dann modernste Klärwerk Europas, sofern das Umweltministerium den Bau fördert.

Wer bezahlt den hohen Aufwand?

Schitthelm Geplant war, das den Bürger zahlen zu lassen, aber als kommunale Wasserwirtschaft machen wir uns dafür stark, die Verursacher die Zeche zahlen zu lassen. Die chemische wie auch die Pharmaindustrie sollte die Abwasserreinigung mitfinanzieren.

Die Verbandsgremien haben im vorigen Jahr Beitragserhöhungen in drei Abschnitten zugestimmt.

Schitthelm 20 Jahre lang wurden die Gebühren nicht erhöht. Es gab sogar Senkungen um 7,5 Prozent, um die Bürger zu entlasten. In dieser Zeit haben wir aber  zum Beispiel über 70 Rückhaltebecken übernommen oder die dritte Klärstufe gebaut. Die jetzigen Erhöhungen gleichen bislang nur die Inflation aus. Gegenwärtig haben wir Einnahmen in Höhe von etwa 85 Millionen Euro. Sie steigen in den nächsten zwei Jahren auf 100 Millionen Euro.

Gibt es einen Investitionsstau?

Schitthelm Ja, in Höhe von rund 500 Millionen Euro. Wir müssen pro Jahr in Zukunft 30 bis 35 Millionen Euro investieren.

Was macht die Niers in Ihren Augen zu einem besonderen Fluss?

Schitthelm Die Niers ist ein toller Fluss, weil wir es geschafft haben, in einem industriell und landwirtschaftlich industriell geprägten Gebiet eine lebendige Ader zu schaffen, die ein Gegengewicht darstellt und den Menschen einen Raum für Ruhe und Erholung bietet.

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