Goch Jungen brauchen mehr Abenteuer als Mädchen

Goch · Die Grundschule in Keveleaer-Wetten setzt sich schon länger mit geschlechtsspezifischer Arbeit auseinander. Seit zwei Jahren finden spezielle Projekte für Jungen statt. Ihnen fehlen Identifikationsfiguren.

 Der 7-jährige Tizian hangelt sich an der selbstgebaute Brücke über die Fleuth.

Der 7-jährige Tizian hangelt sich an der selbstgebaute Brücke über die Fleuth.

Foto: Thomas Binn (BINN)

Die Zeiten, als Jungs mit aufgeschlagenen Knien aber glücklich nach Hause kamen und ihren Eltern davon erzählten, was sie draußen so alles gemacht haben, sind für viele Kinder längst vorbei.

Kinder verbringen heute viel zu wenig Zeit an der frischen Luft. Herausforderungen werden am Computer oder der Playstation gemeistert, wie aus diversen aktuellen Untersuchungen hervorgeht. Auf Bäume klettern können viele Kinder überhaupt nicht mehr. Dabei sind motorische Erfahrungen für die gesunde Entwicklung wichtig. Nur durch Bewegung sind Kinder dazu in der Lage, ihre Umwelt zu begreifen, zu erforschen und zu gestalten. Das sind keine Phänomene von Stadtkindern. Auch die Lebenswelten der Kinder in kleinen Orten wie Wetten, wo in der Grundschule jeder jeden kennt, haben sich teils drastisch geändert.

"Kinder erleben heute keine wirklichen Abenteuer mehr", erklärt Marlies Hansen. Sie ist seit vielen Jahren Schulleiterin, selber Mutter von drei erwachsenen Kindern und sieht die Veränderungen mit kritischen Augen. Den Kindern fehlt der Raum für Spontanität. Das führt bei den Jungs zu Problemen. Denn Jungs haben einen größeren Bewegungsdrang als Mädchen. Sie agieren Raumnehmender, müssen rennen, klettern, raufen und mit anderen Jungs Erfahrungen machen, um sich sozial zu entwickeln. Dazu kommt, dass viele Mütter überhaupt nicht wissen, wie sie mit der Männlichkeit ihrer Söhne umgehen sollen und Jungs oft durch ein rein weiblich geprägtes Erziehungsumfeld groß werden.

Es fehlen Identifikationsfiguren. Welche Mutter oder Erzieherin rauft schon gerne mit Jungs. "Vor lauter Mädchenförderung haben wir in den letzten Jahrzehnten die Jungs aus dem Auge verloren", erzählt Hansen.

Um dem Rechnung zu tragen, hat die Schule ihr Konzept angepasst. So haben beispielsweise die neu eingeschulten Erstklässler jeden Tag eine Stunde Sport.

Das sind zwei Stunden mehr, als durch das Schulministerium vorgesehen sind. Außerdem wird in den Schulklassen darauf geachtet, dass Jungs und Mädchen gleichermaßen zu Wort kommen, es gibt geschlechtsspezifische Leseförderung und ein Jungenprojekt für die älteren Kinder in der dritten und vierten Schulklasse.

Bis zu zwölf Jungs können daran teilnehmen und es geht darum, die Kinder in ihren sozialen Kompetenzen zu fördern und zu unterstützen. Dabei spielt Abenteuerpädagogik eine große Rolle. Im Rahmen des Projekts werden die Kinder zum Beispiel im Wald ausgesetzt, oder sie müssen aus Spanngurten eine provisorische Brücke über die Fleuth bauen.

Das kommt gut an, erzählt die Schulleiterin: "Die Kinder müssen wahre Herausforderungen meistern um daran auch im sozialen Sinne zu wachsen." Dazu gehöre auch mal ein aufgeschlagenes Knie.

(RP)
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