Sportgröße Die Kanu-Olympiasiegerin aus Goch

Goch · 1964 wurde Josefa Idem in der Weberstadt geboren. Achtmal war sie bei Olympia. In Italien wurde sie Ministerin. Auf öffentlichen Druck legte sie das Amt nieder.

 Die Gocherin Josefa Idem (für Italien am Start) im 500-Meter-Rennen bei den Olympischen Spielen in London 2012. In Sydney hatte sie acht Jahre zuvor eine Goldmedaille gewonnen.

Die Gocherin Josefa Idem (für Italien am Start) im 500-Meter-Rennen bei den Olympischen Spielen in London 2012. In Sydney hatte sie acht Jahre zuvor eine Goldmedaille gewonnen.

Rund 100 Kilometer von Goch entfernt liegt die Quelle der Niers, die Quelle des Flüsschens, das die kleine Stadt teilt und das sogar in zwei Armen um den Stadtpark fließt. Genau genommen hat die Niers inzwischen viele Ursprünge, denn der Braunkohleabbau hat dafür gesorgt, dass die eigentliche Quelle trocken liegt. Das Unternehmen Rheinbraun hat sich verpflichten müssen, den Fluss mit Grubenwasser zu speisen.

Zunächst wird deshalb aus der Niers irgendwo um den Erkelenzer Ortsteil Kuckum ein kleiner Bach. Ein paar Kilometer stromab könnte man mit ein bisschen gutem Willen schon Fluss sagen. Und just da, im Mönchengladbacher Stadtteil Mülfort, hängen ein paar Stangen über der Niers. Hier üben Schüler im flachen Wasser das Kanufahren.

 Josefa Idem als Sportministerin in ihrer italienischen Wahlheimat.

Josefa Idem als Sportministerin in ihrer italienischen Wahlheimat.

Was das mit Goch zu tun hat? Zunächst mal nichts. In Goch wird zwar auch gepaddelt, aber in den Booten sitzen Touristen und keine künftigen Leistungssportler. Dabei hätte die Stadt allen Grund, eine eigene Kanu-Tradition zu begründen.

Denn eine der erfolgreichsten Kanu-Sportlerinnen aller Zeiten wurde in Goch geboren. 1964 war das, ungefähr einen Monat vor den Olympischen Spielen von Tokio. Sportler aus der damaligen DDR und der Bundesrepublik starteten in einer gesamtdeutschen Mannschaft. Die Abteilung Kanu belegte in ihrer Disziplin mit zwei Goldmedaillen sowie je einer Silber- und Bronzemedaille den zweiten Rang.

Es ist nicht überliefert, ob die Familie Idem daran Anteil nahm, sie wird eher damit zu tun gehabt haben, die einen Monat alte Tochter Josefa zu versorgen. Als Josefa vier Jahre alt war, zog die Familie nach Hamm. Und hier begann eine der großen internationalen Sportkarrieren. Mit elf Jahren stieg das blonde Mädchen zum ersten Mal in ein Kanu. Und Josefa Idem hatte sich offenbar das richtige Sportgerät ausgesucht. Mit 14 Jahren trat sie zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft an, im Laufe ihrer Karriere, die sie bis ins wahrhaft biblische Alter von 48 Jahren betrieb, gewann sie 38 Medaillen bei internationalen Wettkämpfen. Bei acht Olympischen Spielen trat sie an, der Höhepunkt war 2000 in Sydney. Hier gewann Idem Gold.

Sie saß allerdings nicht mehr für Deutschland im Boot. 1988 war sie zu ihrem Trainer und späteren Ehemann Guglielmo Guerrini nach Ravenna gezogen. 1992 bekam sie die italienische Staatsbürgerschaft, und sie startete fortan für ihre Wahlheimat. Die deutsche Staatsbürgerschaft musste sie ablegen, und das bedauerte sie. „Deutsche Gründlichkeit und italienische Fantasie ergänzen sich doch“, sagte sie. Aber es war keine doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt.

Als italienische Kanutin wurde sie nicht nur nach Ansicht der wortgewaltigen Zeitungen im Lande eine „Legende“. In Deutschland hatte sie trotz bemerkenswerter Erfolge immer ein bisschen im Schatten der ewigen Birgit Fischer gestanden, die acht Gold- und vier Silbermedaillen aus dem Wasser olympischer Regattastrecken fischte. In Italien wurde die gebürtige Gocherin zur erfolgreichsten Olympia-Teilnehmerin ihrer Sportart. Noch in Peking 2008 verlor sie Gold nur durch einen Rückstand von vier Tausendstel Sekunden. Mit dem bloßen Auge war das nicht zu erkennen. Und anders als 2021 in Tokio im Hochsprung der Männer konnten sich die Kampfrichter nicht dazu durchringen, zwei Goldmedaillen zu vergeben.

Vielleicht kam Josefa Idem bei der Gelegenheit zu jener Weisheit, die ihr im Zusammenhang mit Olympia zugeschrieben wird: „Ein Wettkampf bei Olympia ist wie eine Geburt für eine Mutter. Der Moment ist unglaublich hart. Aber das, was du zustande bringst, ist wunderbar.“ Sie muss das wissen, denn sie hat olympische Wettkämpfe gewonnen, und sie hat zwei Söhne geboren.

Josefa Idem hat aber noch viel mehr getan. Die Legende will es, dass die Sportlerin die Unfähigkeit italienischer Politiker nicht mehr mit anschauen wollte und sich deshalb für die Sozialdemokraten in der Region Emilia-Romagna als Kandidatin für den Senat aufstellen ließ.

Tatsächlich wurde sie gewählt und zog 2013 ins römische Parlament ein. Dabei blieb es allerdings nicht. Sie wurde sogar Ministerin für Sport, Jugend und Chancengleichheit. Während sie fünf Jahre im Senat blieb, trat sie vom hohen Amt der Ministerin bereits nach gut zwei Monaten zurück. Konkurrenten wollten herausgefunden haben, dass sie in Steuererklärungen Einkünfte fehlerhaft angegeben hatte. Auf öffentlichen Druck legte sie das Amt nieder.

Eine kampflustige Politikerin aber blieb sie. Als Beppe Grillo, sehr erfolgreich mit seiner Protestpartei Movimento 5 Stelle, Olympische Spiele einen „Triumph der Nationalsozialisten“ nannte, entgegnete Josefa Idem: „Schrott! Italien ist ein Land, das mitfiebert und anfeuert, aber das bedeutet nicht, dass wir in den Krieg ziehen.“

Die große Politik hat sie inzwischen hinter sich gelassen. Dabei waren die Vorsätze lange Zeit groß gewesen. „Ich spüre die Verantwortung, und ich krempele die Ärmel hoch und beginne mit der Arbeit im Dienste des Landes“, erklärte sie. Ein bisschen vom typischen Ehrgeiz der Leistungssportler war da zu hören. Und sie fühlte sich schon deshalb berufen, weil in ihr auch die Erinnerung an die alte Heimat lebt. „Ich will meine Arbeit immer so gut wie möglich abliefern“, hat Josefa Idem mal gesagt, „es liegt wohl an meiner deutschen Herkunft.“ An den Wurzeln, die in Goch an der Niers liegen, 100 Kilometer von der Quelle entfernt.

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